Beratungsstellen für Kranke:Wo Patienten Hilfe bekommen

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Margarethe Ojewski, Ärztin aus Kasachstan (links), arbeitet in der Nürnberger Beratungsstelle mit. (Foto: UPD Nürnberg)

Einer krebskranken Frau reicht das Geld zum Leben nicht, ein depressiver Mann rutscht in die Suizidgefahr: Wer Probleme mit der Krankenkasse oder dem Arzt hat, ist schnell überfordert. Wie sich eine unabhängige Beratungsstelle für die Patienten einsetzt.

Von Dietrich Mittler, Nürnberg

Durch Jürgen Arlts mächtigen Körper geht ein Beben, die Hände erheben sich zu einer beschwörenden Geste, während sein Blick ein Regal mit juristischer und medizinischer Fachliteratur fixiert. Arlt ist durch ein Telefon-Headset mit einer krebskranken Frau verbunden. Sie hat offensichtlich Angst. Sie will kein Sozialfall werden. Sie will wieder arbeiten, sofort. Das alles erschließt sich nur aus den Antworten von Arlt. Er spricht mit ruhiger Stimme, aber seine Worte verraten, er kämpft: "Sie sind in einer Situation, in der Sie Ruhe brauchen und sich der Krankheitsbewältigung stellen müssen." - "Nee, das ist sehr ernst . . . Ich verstehe Sie ja." Wer jetzt bei der Patientenberatungsstelle in Nürnberg anruft, hat den Anrufbeantworter in der Leitung, weil Arlt immer noch spricht. Erst sachlich: "Ich schlage vor: eine befristete zeitweilige Rente." Dann bestimmt: "Sie kommen da wieder raus!" - "Um Gottes willen - nicht die Strahlentherapie abbrechen!"

"Dafür können Sie doch nichts"

Vierzig Minuten später dringt Arlts Blick noch immer durchs Regal hindurch. Er schweigt lange, dann hört ihm die krebskranke Frau zu. Seine Stimme füllt nun das kleine Büro aus: "Die Ärzte haben Ihnen doch auch gesagt: Muten Sie sich nicht zu viel zu. Sonst kommen Sie nicht wieder hoch. Dass Sie krank geworden sind, dafür können Sie doch nichts!" Arlt hat noch nicht einen einzigen Blick durch die beiden Bürofenster geworfen, vor denen sich prachtvoll das Nürnberger Altstadtpanorama entfaltet. Das Gespräch neigt sich dem Ende zu, ein letzter Appell: "Ja, Sie haben das Problem, dass Ihnen das Arbeitsamt auf den Hacken steht. Aber Sie sind doch ein Mensch, Sie sind einmalig." Im Büro wird es still. Dann klingelt das Telefon.

Gut und gern 5000 Ratsuchende, die Fragen zu ihrer Krankheit, Sorgen mit der Krankenkasse oder einen Konflikt mit dem behandelnden Arzt haben, melden sich im Jahr bei der Patientenberatungsstelle Nürnberg. "Die Berater stehen immer mehr unter Zeitdruck, die Auskünfte werden immer intensiver", sagt die Nürnberger SPD-Landtagsabgeordnete Angelika Weikert, die ehrenamtlich im Vorstand des Fördervereins Unabhängige Patientenberatung Nürnberg dafür sorgt, dass organisatorisch alles rund läuft.

In den anderen vier Beratungsstellen in Bayern ist der Andrang nicht minder stark und "übersteigt oft die Kapazitäten", wie Peter Friemelt, der Geschäftsführer des Gesundheitsladens in München, sagt. Der Gesundheitsladen als älteste Patientenberatungsstelle Deutschlands verzeichnet im Jahr mehr als 5000 Ratsuchende, 3500 wenden sich zudem an die Beratungsstelle für Oberbayern, unter einem Dach mit dem Gesundheitsladen. Rund 3000 Ratsuchende sprechen jährlich bei der Stelle in Landshut vor, und weitere 500 bei der Augsburger, die dringend ausgebaut werden müsste, um den Beratungsbedarf in Schwaben abdecken zu können.

Friemelt weiß viel über die Anfangsjahre, als der Gesundheitsladen als Alternativbewegung begann - mit Zielen, die 1980 revolutionär klangen: Patientenrechte stärken, die Macht der Chefärzte beschneiden, die Selbsthilfe der betroffenen Bürger aufbauen. Heute ginge es nicht mehr ohne angestellte Mitarbeiter. "Im Gesundheitswesen ändert sich ständig etwas, man muss viel recherchieren, wahnsinnig belastend", sagt Friemelt. Vor wenigen Tagen erst kam ein Mann in den Gesundheitsladen. Unter dem Arm trug er vier Aktenordner, um Behandlungsfehler zu dokumentieren. "Die Beraterin solle sich das mal durchlesen, er komme dann wieder", erzählt Friemelt.

Oxana Strobel, die Teamleiterin in Nürnberg, würde das ebenfalls als typischen Fall bezeichnen. Drei Stunden Arbeitszeit fallen da leicht an, um Akten zu sichten, Paragrafen zu prüfen. Und nie zu vergessen: Es kann hier auf Leben und Tod gehen. Beim Sichten der Online-Anfragen stieß Strobel, wie alle im Team in Teilzeit angestellt, sinngemäß auf diesen Text: Mein Freund nimmt seit einem Jahr Antidepressiva, es geht ihm nicht gut, seit einem Jahr war er nicht mehr draußen, er isst kaum was. "Du merkst, er beschreibt seine eigene Situation, nicht die eines Freundes", sagt sie. Ein Mensch in Suizidgefahr, das macht etwas mit ihr: "Man sitzt am Rechner und ist selber ohnmächtig." Strobel ist auch deshalb nah an den Problemen, weil sie - in Kasachstan geboren - die muttersprachliche Betreuung in Russisch übernommen hat. In und um Nürnberg leben 70 000 Russen, sagt sie - und nur wenige von ihnen seien mit dem deutschen Gesundheitssystem vertraut.

Jeder Regierungsbezirk soll ein Beratungsangebot haben

Für ihre fachlich wie menschlich gute und wichtige Arbeit bekommt die Nürnberger Beratungsstelle durchweg Lob - und nicht nur sie. Nun aber droht Gefahr. Mit Ausnahme des Münchner Gesundheitsladens sind alle anderen Beratungsstellen unter dem Dach der UPD (Unabhängige Patientenberatung Deutschland) organisiert. Ende 2015 läuft der Förderzeitraum für die bundesweit 21 UPD-Beratungsstellen aus. Im politischen Berlin will zwar jeder, dass die Förderung weiterläuft. Lange geisterte in den Köpfen der Berliner Experten aber herum, es sei kostengünstiger und effizienter, die ganze Beratungstätigkeit auf eine Hotline, quasi als Callcenter-Modell, zu übertragen. Die bundesweite Hotline gibt es zwar auch jetzt schon - aber eben nur als Teil des Gesamtangebots.

Friemelt hat einen Fürsprecher, damit das auch so bleibt: Hermann Imhof (CSU), den Patienten- und Pflegebeauftragten der Staatsregierung. Nicht Abbau oder Stillstand ist dessen Devise, sondern Aufbau: "Bis 2020 muss es in jedem Regierungsbezirk eine solche Patientenberatungsstelle geben", sagt er, "das ist meine Mission." Dazu aber ist eine Verdoppelung der Mittel von derzeit 5,4 auf 10,8 Millionen Euro bundesweit nötig. Auch heute, am Europäischen Tag der Patientenrechte, werden in Berlin Telefone heiß laufen. Am bayerischen Ende der Leitung: Hermann Imhof.

© SZ vom 16.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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