Bayerischer Landesrealschultag:Kabel in die Klassenzimmer

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Die bayerischen Realschullehrer fordern mehr Unterstützung bei der Digitalisierung. Dabei geht es nicht nur um die Technik, sondern vor allem um mehr Lehrer. "Spätestens in den 2020er-Jahren werden wir jeden brauchen können", sagt Vorsitzender Jürgen Böhm. Er wird für weitere drei Jahre im Amt bestätigt

Von Vinzent-Vitus Leitgeb, Rosenheim

Er selbst hatte Glück, sagt Jürgen Böhm. 2005 wurde er Gründungsrektor der staatlichen Realschule Arnstorf. In den folgenden Jahren stellte er zwei Kollegen ein, die Informatik studiert hatten und "hoch motiviert" waren. Dadurch sei seine Schule digital relativ gut aufgestellt. "Aber das kann natürlich nicht die Regel sein", sagt Böhm. "Dass das ein Zufall ist und sich Schulen in erster Linie selbst um das Thema Digitalisierung kümmern. Lehrer müssen Unterricht machen und nicht Kabel unter den Tischen verlegen."

Böhm weiß, dass er mit der Ansicht nicht alleine ist. Immer mehr Lehrer sprechen ihn darauf an. Seit 2014 ist er Vorsitzender des Bayerischen Realschullehrerverbands (BRLV). Am Freitag wurde er von den 250 Delegierten des 25. Bayerischen Landesrealschultag in Rosenheim für weitere drei Jahre im Amt bestätigt. Bis 2020 wird er nun die Interessen der rund 17 400 Realschullehrer des Freistaats weiter in die Politik tragen. Es geht darum, die positive Rolle der Realschulen für die bayerische Wirtschaft heraus zu arbeiten, für die Lösung des Fachkräftemangels. Doch wie die Diskussionen in Rosenheim zeigen: gerade auch die Fragen zur Digitalisierung von Realschulen werden eine wichtige Rolle spielen. Dabei geht es nicht nur darum, wer Kabel verlegt.

Es gebe "viele Baustellen und keine Strategie" an den Schulen. So hat es Mitte September die Bertelsmann Stiftung formuliert. 74 Prozent der befragten Lehrer einer deutschlandweiten Studie der Stiftung beklagten sich über mangelnde Technik an den Schulen, 62 Prozent vermissten IT-Support, 20 Prozent hatten überhaupt keinen WLAN-Zugang. Experten forderten zudem neue pädagogische Konzepte zum Einsatz von Technik und Inhalten.

Immerhin sei man an den bayerischen Realschulen beim letzten Punkt bereits relativ gut aufgestellt, kommentiert das Böhm. Schon lange wird dort Informatik unterrichtet, der nächste Schritt ist in Vorbereitung: Zurzeit wird eine standardisierte Abschlussprüfung in dem Fach erarbeitet. Zur Angleichung. Die Schüler können zukünftig außerdem ganz konkret nachweisen, was sie im Digitalen gelernt haben. Womöglich ein Vorteil für die spätere Berufsausbildung. Trotzdem stimmten andere Diagnosen, sagt Böhm: die digitalen Fertigkeiten und Inhalte müssten in den kommenden Jahren, dort wo es sinnvoll ist, in anderen Fächern stärker vertieft werden. In Deutsch etwa oder in Sozialkunde, um Beiträgen aus dem Internet kritischer gegenübertreten zu können.

Was dazu aber fehle: neue Lehrer. 2015 wurden nur 76 eingestellt, dieses Jahr immerhin 342. Zum Schulstart 2018 sollen es laut BRLV auf jeden Fall mehr als 400 werden - das ist die Forderung an die Staatsregierung, die auch beim Treffen in Rosenheim bekräftigt wird. Es müsse verhindert werden, dass gut ausgebildete Lehrer aus Frust über die Aussichten in andere Berufe wechseln. "Spätestens in den 2020er-Jahren werden wir jeden brauchen können", sagt Böhm. "Wenn jetzt manche behaupten, durch Computer braucht es weniger Lehrer, widerspreche ich vehement." Denn letztlich müssten die Lehrer an ihren jeweiligen Schulen genug Zeit haben, um gemeinsam zu erarbeiten und ständig weiterzuentwickeln, wo Laptops, Tablets und Smartphones den Unterricht positiv unterstützen können. Dazu müssten sie aber entsprechend aus- und in den meisten Fällen fortgebildet werden. Auch das kostet wieder Zeit, in denen andere Lehrer den Unterricht halten müssen.

Das Bildungsministerium verweist auf neu geschaffene Stellen, aber auch auf das Programm "Digitale Schule 2020". Dadurch werden unter anderem neue, digitale Lehrmaterialien erstellt und verbreitet. Von 2018 an soll der Fokus zudem stärker auf der Nachqualifizierung von Lehrkräften liegen. Schulen sollen besser bei dabei unterstützt werden, neue IT-Strukturen aufzubauen. Es werden Modellversuche an verschiedenen Schulen durchgeführt. Für Thomas Gehring, Bildungssprecher der Grünen im Landtag, ist das immer noch zu wenig. Im neuen Haushalt seien nur 32 Millionen Euro Investitionen in Bildung vorgesehen, die auch andere Bereiche als die digitale Entwicklung abdecken müssen. Sein Gegenvorschlag: alleine 30 Millionen für Digitalisierung auf alle Schularten verteilt, dazu jeweils zehn Millionen für mehr Lehrkräfte und deren Fortbildung für künftige Herausforderungen. "Das muss alles einheitlicher werden", sagt er. Realschulen hätten da bisher eine besondere Affinität, weil sie sich an dem orientieren, was beruflich gebraucht wird. Aber auch da gebe es große Unterschiede. Die geplante IT-Abschlussprüfung sei positiv, man müsse nur darauf achten, das Fach nicht zu sehr zu verschulen. "Digitalisierung heißt, individualisiert zu lernen, im eigenen Tempo", sagt Gehring. "Obwohl alle gleiche Voraussetzungen haben sollen, braucht das im Alltag Flexibilität."

Und eben die Bereitschaft, Geld auszugeben. Bundesbildungsministerin Johanna Wanka hatte das auch gesagt und den Ländern im Oktober 2016 fünf Milliarden Euro für digitale Bildung versprochen. Gezahlt wurde noch nichts. Die Kultusminister bezweifeln inzwischen auch, dass sie das Geld noch bekommen. Genau wie Böhm in Rosenheim, der auf die nächste Bundesregierung hofft. "Bildung wird immer teuer sein. Aber notwendig", sagt er. "Es darf keine Glücksache sein."

© SZ vom 07.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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