Ansbach:Die Helden von der Tankstelle

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Der silbergraue Mercedes des mutmaßlichen Amokfahrers stand mitten an der Tankstelle in Bad Windsheim, als die Polizei eintraf. (Foto: Stefan Blank/dpa)

Im vergangenen Jahr soll ein 48-Jähriger zwei Menschen vom Auto aus erschossen haben. In Bad Windsheim endete die Amokfahrt. Dort griffen Kunden und Mitarbeiter beherzt ein, entwaffneten ihn und übergaben ihn der Polizei. Der Schrecken sitzt bis heute tief

Von Katja Auer, Ansbach

Bevor die Frau den Gerichtssaal verlässt, bleibt sie kurz stehen. Genau vor der Anklagebank, genau vor dem Mann, der ihr den Sommer versaut hat. So drückt sie das aus, aber das ist wohl ordentlich untertrieben. Schließlich kann die 47-Jährige nicht mehr schlafen, seit der Mann mit einer Waffe bei ihr in der Tankstelle gestanden hat, sie ist in psychiatrischer Behandlung, musste sogar ihren Job als Kassiererin aufgeben. Sie konnte nicht mehr in die Tankstelle gehen. "Jetzt schau ich ihn an", sagt sie am Dienstag. Der Mann sitzt da wie immer in diesem Prozess. Dunkler Kapuzenpulli, ein Schal, den er sich bis zur Sonnenbrille zieht, solange die Kameras laufen. Zwei Menschen soll der ehemalige Krankenpfleger auf einer Amokfahrt durch den Landkreis Ansbach erschossen haben, noch mehr bedroht, aber glücklicherweise nicht getroffen.

In Bad Windsheim endete die Fahrt an jenem Julitag, in besagter Tankstelle, in der sich dem 48-Jährigen gleich eine ganze Handvoll patenter Leute in den Weg gestellt haben. Die berichten am Dienstag ihre Eindrücke vor dem Landgericht Ansbach, vor dem sich der ehemalige Sportschütze unter anderem wegen zweifachen Mordes verantworten muss. Ins Gefängnis wird er nicht müssen, er gilt als psychisch krank und deswegen schuldunfähig.

Einer Kundin kam er damals im Sommer verwirrt vor, "etwas daneben", als er mit einer Waffe in der Hand den Verkaufsraum betrat, wo sie gerade einen Schokoriegel kaufte. Warum er denn mit einer Pistole herumlaufe, habe sie ihn gefragt, was recht kühn erscheint für eine Dame von 74 Jahren. Dass sie das überhaupt nichts angehe, soll er geantwortet und die Waffe in die Luft gereckt haben. "Ich knall' euch jetzt alle ab", habe er gerufen, sagt nachher die Kassiererin und ja, das habe sie als Bedrohung empfunden. So geistesgegenwärtig sie damals reagierte, so sehr geht ihr die Geschichte heute nach. "Wie ein Tiger im Käfig" sei der Mann zwischen den Regalen hin- und hergegangen, "mit leblosen Augen". Dann habe er Zigaretten verlangt und als sie sich vom Tabakregal wieder zurück an den Tresen gedreht habe, habe da die Waffe gelegen. Die Frau griff beherzt nach dem Ding und rannte aus der Hintertür. Sie muss sich mit einer Kundin zusammen in der Toilette eingesperrt haben, das weiß sie gar nicht mehr genau, auf jeden Fall wurde die Pistole dort später gefunden.

Der mutmaßliche Amokläufer lief ebenfalls los, er wollte wohl flüchten, vermuten die jungen Männer, die ihn daran hinderten. Gerade bis zur Beifahrertür seines silbergrauen Mercedes schaffte er es, dann bekam ihn ein 29-Jähriger zu fassen, der in der Tankstelle einen Kaffee hatte trinken wollen. Zusammen mit einem 22-jährigen Bekannten, der ebenfalls zufällig da war, drückte er den Kerl an die Wand, dann auf den Boden. Da kamen zwei Männer aus dem Autohaus zur Hilfe, einer hatte Kabelbinder dabei. Das Radio sei bei ihm an der Hebebühne in der Werkstatt gelaufen, erzählt ein Mechaniker, so habe er von dem Amoklauf erfahren. Und als er hinausschaute auf den Hof, stand da dieser Mercedes mit dem Kennzeichen, das gerade durchgesagt wurde. "Da erschrickt man erst mal", sagt er, aber dann ist er gleich losgelaufen. Ein Kollege ebenso.

Zu viert fixierten sie den Mann und fesselten ihn. Besonders zimperlich waren sie wohl nicht, zu viert sollen sie auf ihm gekniet sein, ein paar Schläge habe er auch abbekommen. Der Mann habe sich heftig gewehrt, berichten sie, und dabei wirres Zeug geredet. "Irgendwas vom nassen Regen", weiß einer noch, außerdem davon, dass die Menschheit ohnehin atomar vergiftet sei und dass sie alle sterben würden. Als ihn die Polizei kurz darauf übernahm, behauptete er, mit Bundeskanzlerin Angela Merkel telefoniert zu haben.

Eine frühere Nachbarin sagt am Dienstag, dass sich der Mann im Lauf der Zeit verändert habe. Gewalttätig sei er nicht gewesen, aber komisch. Er habe sich verfolgt gefühlt, war fest überzeugt davon, dass ihm "die Behörden" nachstellten. Ein Kabel, das aus der Mauer des Nachbarhauses ragte, habe er für eine Überwachungsanlage gehalten. Schließlich habe er eine esoterische Phase gehabt, da sei er mit einem Zeichen auf der Stirn herumgelaufen und behauptete, Kontakt zu Außerirdischen zu haben. Der 48-Jährige rauchte regelmäßig Cannabis. Seine beiden Waffen durfte der Mann besitzen, er war Mitglied im Schützenverein. Er habe sich "stets korrekt und vorschriftsmäßig" verhalten, sagt der Vereinsvorsitzende vor Gericht, sogar größten Wert auf Sicherheit gelegt. Auch wenn er in den letzten Jahren kaum da gewesen sei.

Nach der Tat wurde der Schütze ins Bezirkskrankenhaus Ansbach eingewiesen. Ein Psychiater hatte eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert. Wie es um die psychische Gesundheit des Mannes bestellt ist, dazu sollte am Dienstagnachmittag ein Sachverständiger unter Ausschluss der Öffentlichkeit aussagen. Die Staatsanwaltschaft will erreichen, dass der Mann dauerhaft in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht wird. Das Urteil soll am 12. April fallen.

© SZ vom 06.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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