Angebliche Abrechnungsfehler:AOK kürzt Hausärzten die Honorare

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Die Hausärzte in Bayern wehren sich gegen Honorarkürzungen der AOK. (Foto: Getty Images)
  • Die AOK Bayern wirft rund 2700 Hausärzten in Bayern Abrechnungsfehler vor.
  • Die Krankenkasse hat jetzt damit begonnen, die Honorarzahlungen an die Abrechnungsstelle der Hausärzte zu kürzen.
  • Der Hausärzteverband hat das Sozialgericht München eingeschaltet, um die AOK zu stoppen.

Von Dietrich Mittler, München

Manfred Kohler, Hausarzt im mittelfränkischen Heilsbronn, schiebt seit gut zwei Wochen Überstunden. "Wegen der Grippewelle ist unsere Praxis zum Platzen voll", sagt er. Kohler treiben aber derzeit ganz andere Sorgen um. Er gehört mit zu den rund 2700 Hausärzten in Bayern, denen die AOK Bayern Abrechnungsfehler vorwirft. Mehr als zwölf Millionen Euro will die Kasse insgesamt von Bayerns Hausärzten zurück haben. Sie hat jetzt damit begonnen, die Honorarzahlungen an die Abrechnungsstelle der Hausärzte zu kürzen. Im ersten Schritt mehr als zwei Millionen Euro, wie die Ärzte erst vor wenigen Tagen erfuhren.

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Er ist der Nachfolger seines eigenen Nachfolgers: Hausarzt Gottfried Hagitte ging 1999 in Rente. Jetzt ist er 83 und praktiziert wieder - denn kein junger Arzt will in der Rhön in die Praxis einsteigen.

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"Die AOK-Patienten können ja nichts dafür, aber innerlich stellen sich bei mir gerade die Haare auf, wenn ich nur den Namen dieser Kasse höre", sagt Kohler. Bei so einer Strategie seitens Bayerns größter Krankenkasse werde es wohl kaum gelingen, junge Ärzte aufs Land zu bringen. Die AOK nimmt den Proteststurm gegen ihre Forderungen - zumindest nach außen hin - mit Verwunderung zur Kenntnis. Mit Blick auf den Bayerischen Hausärzteverband ließ Helmut Platzer, der Chef der AOK Bayern, wissen: "Auch eingetragene Vereine müssen Gesetze anerkennen. Und wenn Leistungen zu Unrecht in Rechnung gestellt werden, dann sind Krankenkassen verpflichtet, diese zurückzufordern."

Aufstände gibt es nicht mehr

Dieter Geis, der Vorsitzende des Bayerischen Hausärzteverbandes (BHÄV), weiß nicht, was ihn mehr entzürnt: die gut 21 000 Euro, die seine Gemeinschaftspraxis - weil angeblich falsch abgerechnet - zurückzahlen soll? Oder ist es das Verhalten der Kasse, das er als "Willkür", als "heimtückisch" und als "bewusste Provokation" empfindet. "Ich bin überzeugt, dass uns die AOK reizen will - in der Hoffnung, dass wir Hausärzte wieder aufstehen und Rabatz machen. Dann nämlich hätten sie wieder was gegen uns in der Hand", sagt Geis. Er stand einst eng an der Seite des früheren BHÄV-Vorsitzenden Wolfgang Hoppenthaller, als dieser 2010 die offene Rebellion wagte. Dieser Versuch scheiterte in Nürnberg, als sich die Mehrheit der Hausärzte einem massenhaften Ausstieg aus dem Kassensystem verweigerte.

Geis, nun selbst Verbandschef, hat daraus gelernt. Aufstände wird es mit ihm nie wieder geben. Mittlerweile konnte er mit den Kassen wieder Hausarztverträge abschließen, die den Praxen verlässliche Einnahmen garantieren. Dennoch: Die Wut über die jüngsten AOK-Forderungen ist groß. "Die meisten Kollegen, die wir gesprochen haben, sollen zwischen 5000 und 10 000 Eurozahlen", sagt Geis. Etliche liegen unter diesen Beträgen.

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"Einige hundert Hausärzte haben bereits zurückgezahlt", sagt ein Sprecher der AOK, der darauf beharrt, dass diese Forderungen allesamt rechtskonform seien. Von denen, die nicht zurückgezahlt hätten, hole man sich nun das Geld eben kollektiv über die gekürzten Abschlagszahlungen an die Hausärztliche Vertragsgemeinschaft zurück. Auch das sei absolut rechtskonform, sagt der Sprecher der Kasse.

Die Gesundheitsministerin ist verwundert

Der Hausärzteverband hat daran große Zweifel. Die Forderungen der AOK seien nicht nachprüfbar. "Wir wissen nicht, welche Ärzte die AOK angeschrieben hat. Wir wissen ja noch nicht einmal, auf welcher Datengrundlage sie die Rückforderungen geltend macht", sagt Geis. Sein Stellvertreter, der Erlanger Hausarzt Markus Beier, sagt: "Die AOK Bayern beruft sich bei ihren Rückforderungen auf Prüfregeln, die weder im geltenden Hausarztvertrag drinstehen, noch medizinisch gerechtfertigt sind." In gut 90 Prozent der Fälle, so Geis, beanstande die AOK jetzt Honorarforderungen für Dokumentationsbögen, in denen die Hausärzte den Arzneimittel-Konsum ihrer Patienten dokumentiert haben.

Die vorgebrachten Ablehnungsgründe der Kasse seien unseriös, sagt auch Beier: "Die AOK weiß nicht, wie viele Medikamente auf Kassenrezept verordnet werden - und wie viele auf Privatrezept. Das kann die AOK aus ihrem Datenbestand gar nicht prüfen." Mittlerweile hat der Hausärzteverband das Sozialgericht München eingeschaltet - dieses soll per einstweiliger Anordnung die AOK stoppen.

Gesundheitsministerin Melanie Huml appellierte am Dienstag an beide Seiten, "dafür Sorge zu tragen, dass dieses wichtige Konzept der Hausarztzentrierten Versorgung durch die gegenwärtige Auseinandersetzung keinen Schaden nimmt". Hier gehe es um das Wohl der Patienten. Huml brachte aber auch ihre "Verwunderung" zum Ausdruck, dass die AOK gut acht Quartale verstreichen ließ, bis sie den Ärzten ihre Bedenken bezüglich der Abrechnungen mitteilte und nun auf kurzfristige Rückzahlung besteht. Auf AOK-Chef Platzer macht das wenig Eindruck. "Die Spielregeln sind eigentlich ganz einfach: Es ist fehlerhaft abgerechnet worden, und wir sind verpflichtet, dieses Geld zurückzufordern - es ist das Geld der Versicherten", sagt er auf Anfrage.

© SZ vom 11.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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