Amoklauf an Ansbacher Schule:Eine Tat, die ratlos macht

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Der Amoklauf am renommierten Carolinum-Gymnasium erschüttert Ansbach: Der 18-jährige Täter galt als Einzelgänger. In Briefen soll er eine "nahe Apokalypse" angekündigt haben.

O. Przybilla, U. Ritzer und D. Mittler

Der Amokläufer Georg R. gilt unter seinen Mitschülern als ein Einzelgänger. Sie beschreiben ihn als unauffällig - als einen, der im Schulalltag nicht besonders wahrgenommen wurde. Einer, der als schweigsam galt. Was Georg R. bewogen haben könnte, mit einer Axt in seine Schule einzudringen, Brandsätze in Klassenräume zu werfen und eine Mitschülerin lebensbedrohlich zu verletzen, das "ist uns ein völliges Rätsel", sagt ein Mann, dessen Kinder das Ansbacher Carolinum-Gymnasium besuchen.

Bewaffnet mit zwei Messern, einer Axt und drei Brandsätzen ist der 18 Jahre alte Schüler am Donnerstagmorgen in die Schule eingedrungen. Im dritten Stock warf der Kollegiat - er besucht die 13. Klasse - einen Brandsatz in den Unterrichtsraum einer Klasse: Acht Schüler und ein Lehrer erlitten Brandverletzungen. Danach setzte Georg R. seinen Amoklauf fort.

Schülerin in Lebensgefahr

Auf dem Gang traf er auf eine Schülerin, die er mit seiner Axt schwer am Kopf verletzte. Die Jugendliche schwebt in Lebensgefahr.

In dieser bedrohlichen Situation behielt ein Schüler der 13. Jahrgangsstufe einen kühlen Kopf, er informierte um 8.35 Uhr zunächst die Polizei. Und er half danach selbst beim Löschen eines Brandes im Klassenzimmer.

Nur elf Minuten nach dem Alarmierung konnte die Besatzung eines Streifenwagens - eine Beamtin und ihr Kollege - den Täter nach mehreren Schüssen aus einer Maschinenpistole in einer Schultoilette überwältigen.

Nach Angaben des Einsatzleiters wurde der Attentäter von fünf Kugeln getroffen. Der Gesundheitszustand des jungen Mannes wurde am Nachmittag als kritisch beschrieben, Lebensgefahr bestehe aber nicht mehr.

Innenminister Joachim Herrmann betont am Nachmittag, den Polizisten sei keine andere Möglichkeit geblieben als zu schießen. Anstatt sich zu ergeben, habe der Amokläufer die Beamten in der Schultoilette angegriffen. Strafrechtlich war Georg R. bislang nie in Erscheinung getreten, erklärt Innenminister Herrmann. Eine Schwester des Täters besuche ebenfalls das Gymnasium.

Herrmann ist nicht der Einzige, den die Tat ratlos macht. "Was den jungen Mann bewegt hat, wissen wir nicht", sagt der Generalstaatsanwalt Klaus Hubmann.

Ein zufälliges Opfer

Die Schülerin, die Georg R. mit einer Waffe am Kopf verletzte, scheint nur zufällig zum Opfer des Attentäters geworden zu sein. Dass die beiden sich kannten, darüber gebe es keine Erkenntnisse. Am Abend meldet der Bayerische Rundfunk, der Täter habe seit längerer Zeit eine Psychotherapie absolviert.

Außerdem soll er in Briefen eine "nahe Apokalypse" angekündigt haben. Die Polizei will das "zum jetzigen Zeitpunkt" so nicht bestätigen. Im Zimmer des jungen Mannes sei ein Computer sichergestellt worden. Darin fanden sich Schreiben, die auf "eine geplante Tat schließen lassen", sagt eine Polizeisprecherin.

Während die Schwerverletzten nach dem Amoklauf in Kliniken nach Nürnberg gebracht werden, kommen die weniger schwer Verletzten in umliegende Krankenhäuser.

Einige der Schüler finden im Ambulanten Operationszentrum Ansbach ärztliche Hilfe: "Es erschreckt mich, wie sehr man jetzt schon um seine Kinder Angst haben muss", sagt Wolfgang Baer, Facharzt für plastische Chirurgie.

Wie viele andere Ansbacher ist er erschüttert, dass nun das renommierte Gymnasium zum Tatort wurde: "Vom Carolinum hätte man nie so etwas gedacht, das ist doch eine sehr konservative Schule", sagt Baer.

Das Gymnasium, direkt an der barocken Promenade der fränkischen Residenz- und Beamtenstadt gelegen, gilt als die Vorzeigeschule der Stadt. Wer sich auf den Straßen der Stadt umhört, trifft auf entsetzte Menschen. "Ausgerechnet in Ansbach", sagt eine Verkäuferin in einem der umliegenden Geschäfte. Natürlich, immer wenn irgendwo etwas passiert, sagen die Leute "ausgerechnet bei uns".

In Ansbach aber hat es damit eine eigene Bewandtnis. Die Stadt mit ihren 40.000 Einwohnern gilt als beschaulich und sehr akademisch geprägt.

Der Rektor Frank Stark, ein hochgewachsener Mann mit grauen Haaren, wirkt drei Stunden nach der Tat angeschlagen. Von einem wie Stark erwartet man Antworten in so einer Stunde. Stark aber stellt selbst Fragen: Warum der Täter ausgerechnet in das Klassenzimmer einer bestimmten Klasse einen Brandsatz geschmissen hat? Der Rektor formuliert vorsichtig.

Äußerlich scheint er seine Gefühle im Griff zu haben. "Wir sind sofort mit ein paar Kollegen los", schildert er die ersten Minuten. Im dritten Stock war gerade der erste Brandsatz explodiert, Rauch waberte durch das Schulhaus. "Da handeln Sie einfach, da können Sie nicht lange denken", sagt Stark.

Josef Göppel, der örtliche Bundestagsabgeordnete, stand schon wenige Minuten nach der Festnahme des Täters unten an der Schulpforte. Er blickte in die Gesichter geschockter Kinder. Göppel hat selbst vier Kinder auf diese Schule geschickt, "sie galt unserer Familie immer als unsere Wunschschule", sagt Göppel.

Entsetzen, aber auch Genugtuung

Bei der Pressekonferenz am Nachmittag sind die Erklärungen von Innenminister Herrmann und Kultusminister Ludwig Spaenle außer von Entsetzen auch von Genugtuung geprägt.

Beide loben den Polizeieinsatz, vor allem die beiden Streifenpolizisten, die den Täter gestellt und niedergestreckt haben. "Es gelang, mit diesem raschen Einsatz eine schlimmere Eskalation zu verhindern", sagt Herrmann. Spaenle lobt das besonnene Verhalten der Schulleitung, die durch sofortigen Feueralarm eine zügige Evakuierung in die Wege geleitet habe.

Die Ansbacher Innenstadt gleicht währenddessen weiter einer Festung. Zwischen Landgericht, wo im Großen Sitzungssaaldie Pressekonferenzen stattfinden, und dem Tatort liegen keine 300 Meter. Den Raum dazwischen belagert ein riesiges Polizeiaufgebot.

Das Schulgelände ist seit dem Vormittag weiträumig abgeriegelt. Schüler und Lehrer sind in der benachbarten Arbeitsagentur untergebracht worden. Notfallseelsorger und Psychologen kümmern sich um sie. Die Arbeitsagentur hat ihren regulären Betrieb für den Rest des Tages eingestellt.

© SZ vom 18.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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