Unterwegs:Für Lack und Leben

Im Rückspiegel drängelt einer, dann überholt er. Die paar Meter, denkt man. Die paar Sekunden! Wie viel Testosteron muss man haben oder wie viele Minderwertigkeitsgefühle, um so etwas als lohnenden Gewinn zu empfinden?

Von Richard Christian Kähler

Der Autohintermann nervt! Wie bei einer Bergbesteigung, wenn irgendein Mitwanderer einem unentwegt auf den Hacken herumtrampelt, fährt er auf. Gleich werden sich die Blechhäute unserer Autos zärtlich aneinanderschubbeln ...

Überholt er dann, geht man nur zu gern leicht vom Gas, um beim eh schon großzügigen Abstand zum Lkw da vor uns allen hilfreich eine noch größere Lücke anzubieten. Damit der dicht daneben Aufröhrende bei überraschendem Gegenverkehr abbrechen und möglichst ohne Crash einscheren kann.

Auf Landstraßen häufen sich solche Überholmanöver vor der eigenen Windschutzscheibe. Um schon vor dem nächsten Ortsschild wieder zu enden, hinter dem nächsten trödeligen Truck. Die paar Meter! Die paar Sekunden! Wie viel Testosteron muss man haben oder wie viele Minderwertigkeitsgefühle, um so etwas als lohnenden Gewinn lebensgefährdenden Risikos zu empfinden?

Aber zuverlässig erscheint im Rückspiegel das nächste Scheinwerferpaar und wird größer und größer, bis sich der aufdringliche Drängler hinter einem am Heck festsaugt wie ein Krake. Gute Güte, warum fährt der Kerl nicht gleich bei einem im Auto mit?

Weil er ja eigentlich auch ganz gern für sich ist. Aber es eben immer enger und enger wird auf den Straßen, immer voller und bedrängter. Und damit psychisch auch immer schwerer, trotzdem noch einen entspannenden Abstand zum Vordermann zu halten im nachschiebenden Massengedrängel. Man muss schon einen starken Rücken haben, um wenigstens vor dem Bauch sich und anderen noch Bewegungsluft zu lassen. Aber es lohnt sich. Für Lack und Leben.

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