Unterwegs:Die Botschaft liest man wohl

Lesezeit: 1 min

Früher klebte man politische Botschaften aufs Auto, heute Sachen wie Marius und Wilhelmine auf Tour. Aber was soll das heißen?

Von Jörg Reichle

Hätte es noch eines Beweises bedurft, dass der moderne Zeitgenosse unpolitisch geworden ist und sich lieber ins Private flüchtet, muss man sich nur mal unsere Autos anschauen. Und ihre Besitzer. Klar, wer einen Toyota Prius fährt, sagt damit etwas anderes aus als der Besitzer eines klapprigen VW Bulli. Oder eines fetten SUV. Vielleicht ist so was ja auch politisch, irgendwie. Das meinen wir aber nicht. Worum es hier geht, sind jene geheimnisvollen Botschaften, die man heutzutage immer häufiger an irgendeinem Autohintern vor sich zu lesen bekommt. Jetzt heißt es nicht mehr unmissverständlich "Atomkraft, nein danke", wie noch in den Siebzigern, oder: "Mit 100 durch den Wald", was ja zu Zeiten des deutschen Baumsterbens durchaus politisch war. Heute lesen wir auf Karosserieblech stattdessen Sachen wie: "Marius und Wilhelmine auf Tour".

Doch was wollen uns diese Worte - meist noch illustriert durch lustige Strichmännchen - eigentlich sagen? Will der Erzeuger von Marius und Wilhelmine stolz auf seine Erzeugungskraft hinweisen? Oder auf seinen Sinn fürs Ausgefallene, der auch vor der Namensgebung des Nachwuchses nicht haltmacht? Oder sind die großartigen Marius und Wilhelmine am Ende frühreife Popstars, auf deren öffentliche Auftritte auf dem elterlichen Tourmobil hingewiesen wird? Am Ende will uns der Mann am Steuer einfach nur erklären, warum er derart langsam durch die Gegend schaukelt, weil ihm nämlich Marius und Wilhelmine sonst ins Auto kotzen.

Nicht weniger rätselhaft erscheint, warum sich Menschen die Umrisse von Inseln oder deutschen Gewässern aufs Auto kleben, die dort dann auf den ersten Blick aussehen wie Lackschäden, bei näherem Hinsehen aber Bodensee, Starnberger See oder vergleichbare Idyllen darstellen. Was soll das? War der betreffende Autobesitzer etwa schon mal dort, wohnt er gar da und will jetzt, dass ihn alle darum beneiden? Oder sehnt er sich vielleicht täglich selber dorthin?

Fragen über Fragen und keine Antwort. Auch der Glaubensfisch prangt da und dort auf Karosserieblech. Oder der Regenbogen. Oder was auch immer. Privat, womöglich sogar sehr privat, ist es in jedem Fall. Und das sollte es vielleicht auch bleiben.

© SZ vom 07.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: