Unterwegs:Bis zur nächsten roten Ampel, Mann

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Seit man auf deutschen Straßen nicht mehr schneller fahren kann als 500 km/h kommt der gute alte Ampelsprint wieder zu Ehren.

Von Richard Christian Kähler

Wer hierzulande tagsüber mit Tempo 170, 180 auch nur länger als drei Minuten einigermaßen entspannt auf einer leeren linken Autobahnspur entlangziehen darf, ohne nicht unentwegt anscheinend rückspiegellosen Lkw-Überhol-Spontanausscherern mit 110 km/h durch eine Vollbremsung das Leben zu retten und sich selbst, der zählt sich zu den Glücklicheren.

Auch in Europa herrschen nun, endgültig im 21. Jahrhundert angekommen, amerikanische Verhältnisse: chronisch überfüllte Citystraßen, verstopfte Highways, trotz immer mehr Spuren immer häufiger stockender bis stillstehender Verkehr. Und mangels Masse freier Rennstrecke fällt damit auch das pure Tempo als beliebteste deutsche Autodroge flach. Wir werden nicht länger 300, 400, ja 500 km/h Spitze hinterherjagen können auf öffentlichen Straßen.

Was als der tägliche Kick bleibt, ist Beschleunigung. Acceleration, Baby. Von null auf X in möglichst unter null Sekunden. Die Illusion, auch 3, 4, 5 G noch locker wegstecken zu können. US-Quarter-Mile-Rennen in heimischen Muscle-Cars und Japan-Turbinen sind dann auf Spezialstrecken das legale Testosteron-Ventil. In sechs Sekunden auf fast 400 km/h ist der aktuelle Rekord in einem topgepimpten Toyota Supra.

In unserem Straßenverkehr heißt so was Ampelrennen. Picklige "Fast & Furious"-Filmfans haben inzwischen selbst den Führerschein. Und das Ziel ist: Aus der 1. Startreihe an kaum grüner Ampel raketenartig abzischen über die hoffentlich schon freie Kreuzung, um eine Sekunde später vor dem nächsten Rotlicht wieder reifenkreischend in die Knie zu gehen. Das macht Eindruck, Jungs. Sogar, wenn's nur von null auf legale 50 km/h ist.

Denn hallo, man ist Rocket Man! Hat allen seinen Autohintern gezeigt! Und man muss zugeben: Da nagt in einem drin dann eben doch noch dieser pubertäre Rennfahrer-Gram darüber, dass der eigene Durchschnittswagen nur so beschleunigt wie eben ein Durchschnittswagen. Und jetzt kommen auch noch die Elektro-Raketen. Neulich ist mir doch tatsächlich so ein Tesla dermaßen um die Ohren gefahren. Und hat dabei nicht mal Krach gemacht. Aber was soll's? An der nächsten Ampel sehen wir uns alle wieder.

© SZ vom 07.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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