Unterwegs:Aufbruch allenthalben

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Alljährlich zur Sommerzeit befällt die Straßen in deutschen Großstädten eine Krankheit: der gemeine Straßenpilz, lateinisch: fungi strata, bricht Fahrbahndecken auf, die man tags zuvor noch für unzerstörbar hielt.

Von Jörg Reichle

Sommerferien sind was Feines. Wer kann, fährt mit Kind und Kegel irgendwohin, die anderen legen sich zu Hause untern Sonnenschirm oder basteln was in der Garage, wo's nicht reinregnet und nicht zieht, im Fernsehen laufen die Lieblingsfilme vom Jahr davor, in der S-Bahn kriegt man jetzt sogar hin und wieder einen Sitzplatz und von den Bratzen im Nebenhaus sieht und - vor allem hört - man jetzt ein paar Wochen nichts. Die terrorisieren vermutlich die Zeltnachbarn irgendwo zwischen Sirmione und Rimini. Na, herzlichen Glückwunsch. Nur mit dem Auto ist das so eine Sache. Eigentlich sollten die Straßen ja leer sein in den Ferien, der tägliche Doppelstau, morgens und abends, für ein paar erholsame Wochen ausgesetzt. Denkt man, und dass es dann endlich einmal pünktlich ins Büro reicht.

Es ist aber so: Kaum haben die Kinder ihren letzten Schultag hinter sich, befällt Deutschlands Großstadtstraßen eine alljährlich wiederkehrende, rätselhafte Krankheit. Der gemeine Straßenpilz, lateinisch: fungi strata, lässt über Nacht Fahrbahndecken aufbrechen oder gar zerkrümeln, die man noch tags zuvor für unzerstörbar hielt. Und wahllos schlägt der Pilz zu, überraschend und heimtückisch. Über das Bestreben der Behörden, Baustellen in den ferienfreien Zeiten so zu verteilen, dass nicht überall gleichzeitig gebuddelt wird, kann der gemeine fungi strata nur höhnisch feixen. Aufbruch ist seine Devise, und zwar überall und zur selben Zeit. Bis der Verkehr zusammenbricht.

Und so sieht sich denn der auf Entspannung hoffende Automobilist zur Sommerzeit, wohin er in seiner Stadt auch fährt, rot-weißen Barrikaden gegenüber, garniert mit Durchfahrtsverboten und provisorisch postierten Richtungspfeilen - die ihn, wenn es dumm läuft, nach stundenlanger Irrfahrt zu seinem Ausgangspunkt zurückführen. Und nicht ohne die bittere Erkenntnis, dass es durchaus Schlimmeres geben kann, als zweimal täglich im Stau zu stehen. Nämlich immer im Stau zu stehen. Dort kann er dann in aller Ruhe beobachten, wie Hundertschaften von leuchtend gewandeten Ärzten versuchen, die Pilz-Epidemie in den Griff zu kriegen. Irgendwie schön, dass die Sommerferien bald vorbei sind.

© SZ vom 27.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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