Unterwegs:Als die Bahner zitterten

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Seit Kurzem rauscht der ICE in vier Stunden von Berlin nach München. Kurz vorher nimmt ein Lokführer noch Abschied von der alten Frankenwald-Strecke.

Von Marco Völklein

Kurz vor der Abfahrt aus Leipzig springt der Lokführer noch raus auf den Bahnsteig, den Fotoapparat in der Hand. Er dokumentiert die Abfahrt von ICE 1515. Es ist eine der letzten Fahrten auf der alten Strecke von Berlin nach München durchs Saaletal. Bei Volker Kabisch, dem Mann mit dem Fotoapparat, "überwiegt die Wehmut", wie er sagt. Keine Vorfreude auf die neue, weiter westlich verlaufende Schnellfahrtrasse der Bahn? Die verbindet München mit Berlin ja nun in vier Stunden? "Nein", sagt Kabisch, Freude empfinde er aktuell nicht.

Unterwegs auf der in den 1880er-Jahren errichteten Trasse erzählt er dann auch, warum. 30 Jahre fährt er hier schon. Früher, bei der DDR-Reichsbahn, war für ihn, aus Leipzig kommend, im kleinen Örtchen Unterloquitz Schluss. Weiter bis zum ehemaligen Grenzbahnhof in Probstzella durften nur ausgewählte Kollegen. Holzzüge fuhr Kabisch zu einem Zellulosewerk, Autozüge (beladen mit Trabbis und Wartburgs) zu einer Verladestelle nach Rudolstadt. 70 Prozent des Güterverkehrs in der DDR wurde auf der Schiene abgewickelt; der Anteil heute bundesweit: 17 Prozent.

Und auf die neue Trasse freut er sich gar nicht? Mit Tempo 300 quer durch den Thüringer Wald rasen, auch wenn die Bahn da momentan Probleme hat? "Eher weniger", sagt Kabisch. Das sei wie beim Autofahren. Schnelles Dahingleiten auf der Autobahn - "das ist langweilig". Auf der Landstraße dagegen fahre man zwar langsamer, sei aber auch mehr gefordert. Bremsen, schalten, Gas geben. Ähnlich im Zug: "Da muss ich noch richtig arbeiten."

Und dann erinnert er sich noch mal an früher. An die Zeit, als die "Angstzüge" fuhren auf der Strecke, auch "Zitteraale" genannt. Transitzüge, die möglichst ohne Halt von Bayern nach Westberlin fahren sollten. Gezittert hätten damals vor allem die Reichsbahner an der Strecke. Kam der Transitzug zum Stehen, "dann mussten die zum Rapport".

© SZ vom 16.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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