Tunnelbrände:Nichts wie raus

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Vogelgezwitscher, Laserstrahlen und Orgelpfeifen: Ein neues Sicherheitskonzept soll die Evakuierung nach Tunnelbränden schneller und sicherer machen.

Tobias Brunner

Nur langsam gewöhnen sich die Augen an die Dunkelheit, dazu kommt dichter Nebel. Motorengeräusche erschweren die Orientierung zusätzlich. Vorsichtig tastet sich eine junge Frau am Handlauf entlang, folgt den orange blickenden Lichtern. Plötzlich hört sie Vogelgezwitscher aus einem Lautsprecher über sich - ein letzter Schritt, dann hat sie den rettenden Ausgang erreicht.

Tunnelbrände
:Flammendes Inferno

Es reicht eine heiß gelaufene Bremse oder ein Motor, der plötzlich Feuer fängt: Selbst kleine Brände werden in Tunnels oft zum Inferno.

Die Anstrengung der vergangenen Minuten ist der Probantin anzusehen; auch, wenn das Ganze nur ein Laborversuch war. Denn in einem Nebenraum hatte Berthold Färber die Szene per Wärmebildkamera beobachtet. Färber ist Professor am Institut für Arbeitswissenschaft an der Universität der Bundeswehr in Neubiberg bei München und erforscht unter anderem Gefahren in Straßentunnels und ihre Abwehr. Und er weiß: "Die Dramatik der Situation wird unterschätzt."

In den vergangenen zehn Jahren starben in Europa laut einer ADAC-Statistik fast hundert Menschen durch Tunnelbrände. Denn längst sind nicht alle Tunnel mit moderner Sicherheitstechnik ausgerüstet.

Allerdings sind es oft die Autoinsassen selbst, die sich falsch verhalten. Zum Beispiel dann, wenn sie das eigene Fahrzeug als Schutzraum begreifen und gleichzeitig ihr Eigentum nicht verlieren wollen. Berthold Färber: "Welcher Urlauber lässt schon gerne Auto und Koffer zurück?"

Eine Internetumfrage des Wissenschaftlers bestätigt das: Nur 65 Prozent von 423 befragten Personen gaben an, dass sie bei Rauch und Feuer das Auto verlassen würden. Alle anderen gaben an, sie hätten Angst, Fluchtwege in dichtem Rauch nur schwer zu erkennen.

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Die Bilder.

Im Ernstfall aber erhöht jedes Zögern die Lebensgefahr. Denn wegen der starken Rauchentwicklung bleiben den Menschen nur wenige Minuten Zeit, sich in Sicherheit zu bringen. "Brandtote sind Rauchtote", weiß Färber.

Unvergessen ist etwa die Katastrophe im Mont-Blanc-Tunnel im März 1999: Ein mit Mehl und Margarine beladener Lastwagen entzündete sich an einer weggeworfenen Zigarette, das Großfeuer wurde erst nach mehr als einem Tag gelöscht, 39 Menschen starben.

Um solchen Katastrophen vorzubeugen, beauftragte die Bundesanstalt für Straßenwesen Berthold Färber, nach neuen Wegen für die Evakuierung bei Tunnelbränden zu suchen. "Wie locke ich den Fahrer schnellstmöglich zum Notausgang" - das war die Ausgangsfrage für den Wissenschaftler, der mehr als zwei Jahre an dem Projekt arbeitete.

Am Anfang standen Recherchen, Befragungen und die Analyse von bereits vorhandenen Notfallstrategien. Aus den Ergebnissen der Testreihen in Bunkerräumen entwickelte das Team schließlich eine völlig neue Kombination aus optischen und akustischen Wegweisern. Etwa 100.000 Euro wurden investiert - vergleichsweise wenig Geld im Forschungsbetrieb.

Für Berthold Färber basiert eine effiziente Evakuierung auf zwei wesentlichen Schritten. Zuerst müsse den Autoinsassen bewusst gemacht werden, dass das Auto kein sicherer Platz sei. Um das zu erreichen, wurden Musikinstrumente und Sirenen getestet.

Am Ende zeichneten sich zwei Favoriten ab: eine zehn Meter lange Orgelpfeife und eine Bassbox, die ein unangenehmes dumpfes Brummen erzeugt. Färber bringt die Vorteile der Orgelpfeife auf den Punkt: "Sie kann aus Beton gebaut werden, ist hitzebeständig und zudem leicht nachzurüsten."

Anschließend müssen Geräusche, Lichter und Handlauf zum rettenden Ausgang führen. Die Schwierigkeit dabei: Alle diese Zeichen müssen trotz Lärm und Rauch im Tunnel klar wahrnehmbar sein. "Es braucht immer mehrere Signale, damit der richtige Weg deutlich wird", erklärt Färber.

Die verblüffende Erkenntnis bei der Suche nach den rettenden Signalen: der Gesang eines Rotkehlchens bewährte sich im Praxistest am besten. Denn, so Berthold Färber: "Vögel sind irgendwo draußen im Freien". Im Wechsel dazu ertönt ein langsam gerufenes "Please exit here" und die gesungene Rufterz "Hier-her".

Auf den letzten Metern des Fluchtweges helfen dann optische Signale. Einerseits ein Lauflicht mit sieben LEDs, deren Abstände immer kürzer werden; dazu ein grüner Diodenlaser, der auf den Türgriff des Notausgangs gerichtet ist. Alle Lichter blinken im sechzehntel Takt. Hinzu kommt der Handlauf mit fluoreszierender Folie, der Richtung Ausgang zeigt.

"All das kann kostengünstig nachgerüstet werden", betont Färber. Ob und wann ein erster Tunnel mit der neuen Sicherheitstechnik ausgestattet werden soll, vermag er aber bisher noch nicht zu sagen. Aber selbst bei optimaler Ausstattung eines Tunnels, das weiß auch Färber, wird die subjektive Angst der Menschen immer bleiben.

© SZ vom 21.3.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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