Neue S-Klasse von innen:Hier surft der Chef im Stau

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Prestige und Führungsanspruch: die kommende S-Klasse von Mercedes-Benz. (Foto: Daimler AG - Global Communicatio)

Moderne Zeiten: Die neue Mercedes S-Klasse folgt dem Trend zur Vernetzung und zu immer größeren digitalen Anzeigen. Daimler hat bei der Entwicklung der Luxuslimousine besonders viel Wert auf die wachsende Kundschaft aus Asien gelegt.

Von Joachim Becker

Die neue Mercedes S-Klasse will wieder Standards setzen. Als erfolgreichste Limousine der Oberklasse hat sie nicht nur den Ruf der Marke, sondern auch das Renommee deutscher Autos in der Welt mitgeprägt. Wer in Asien penibel auf Hochglanz polierte und aufgereihte Chauffeurslimousinen mit dem Stern gesehen hat, weiß: Hier geht es um maximales Prestige und Führungsanspruch, das "Beste oder nichts", wie es sich Daimler nun wieder auf die Fahnen schreibt.

Zum ersten Mal in der Geschichte der S-Klasse stand daher die Limousine mit langem Radstand im Fokus der Entwicklung. Anders als früher wurde davon die Version mit normalem Radstand abgeleitet. Während Besitzer der S-Klasse in Europa und Nordamerika häufig selbst hinter dem Steuer sitzen, lenken sie die Geschikke in Asien vom rechten Rücksitz aus. Das ist für Maybach-Kunden seit jeher selbstverständlich. Doch nun sollen sie von der verblichenen Luxusmarke in das Mercedes-Flaggschiff wechseln. Der Umstieg könnte zum Kulturschock werden.

Klassischer Luxus

Was ist eigentlich zeitgemäßer Luxus? Die neue Mercedes S-Klasse gibt darauf zunächst klassische Antworten: Viel Leder, Holz und Chrom in großzügig geschwungenen Formen. Besonders stolz ist Hartmut Sinkwitz auf die vier runden Luftausströmer mit den feinen Anformungen im umgebenden Wurzelholz. "Die Düsen sind mit Echtmetall galvanisiert und lassen die Schönheit der Kugeldüsen im Mercedes SL von 1972 wieder aufleben", erklärt der Chef des Interieur-Designs.

Auch das Zweispeichenlenkrad und die Analoguhr über der Mittelkonsole erklärt er mit einer tiefen Sehnsucht nach den Ikonen der Vergangenheit. "Der Mensch trachtet bei Luxus nach authentischen Werten. Wir schaffen eine warme Wohlfühlatmosphäre, bei der wir uns vom Erbe der Marke gerne inspirieren lassen."

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So weit so vertraut im automobilen Oberhaus. Doch die wachsende asiatische Kundschaft legt genauso viel Wert auf die neuesten digitalen Spielereien. "Das Auto wird zum dritten Lebensraum. Immer längere Fahrzeiten aufgrund der weltweiten Verstädterung lassen die Bedürfnisse nach Komfort und Unterhaltung steigen", sagt Götz Renner von der Mercedes Kundenforschung, "wir dürfen die Kunden unterwegs nicht von ihrer gewohnten Vernetzung abschneiden." Deshalb verwandelt sich die S-Klasse auf jedem der vier Sitzplätze je nach Wunsch in eine Kommunikationszentrale oder einen Konzertsaal.

Die digitale Revolution hat sichtbare Folgen: Nach der Machtergreifung des Computers im Büro und den wuchernden Fernsehformaten daheim, können sich auch die Fahrzeughersteller dem Trend zum Riesenbildschirm nicht entziehen. Der Fahrer blickt auf zwei Farbdisplays mit einer Bildschirmdiagonale von gut 30 Zentimeter (12,3 Zoll). Die Anzeigen hinter dem Lenkrad sind allerdings kaum individualisierbar. Die Darstellung im Stil klassischer Rundinstrumente weicht nur dem Nachtsichtsystem. Eine persönliche Konfiguration des Bildschirms oder eine Anzeige passend zum Fahrmodus gibt es nicht.

Spagat zwischen Tradition und Innovation

Die neue S-Klasse von Mercedes-Benz: Luxuslandschaft mit Großbildschirmen. (Foto: N/A)

Sind die Großbildschirme eine ideale Ergänzung oder Fremdkörper in der luxuriösen Wohnlandschaft? Werden sich die Kunden daran stören, dass sich die weichen Wellenformen an den mächtigen Rechtecken in der Armaturentafel brechen? In den Online-Diskussionsforen der Automobilzeitschriften stößt der Spagat zwischen Tradition und Innovation auf viel Zustimmung.

Auch in den Vorabtests mit potenziellen Kunden habe es sehr positive Reaktionen gegeben, versichern die Stuttgarter. Ähnliche Großleinwände werden wir künftig auch in den Topmodellen anderer Marken sehen. Allerdings lassen sich die Informationszentralen optisch leichter in die horizontalen Linien des VW Designs integrieren als in die betont organische Formensprache der S-Klasse.

Geschmackssache ist auch die "Corona"-Beleuchtung, die hinter den Bildschirmen auf Wunsch weißes, rotes, rosa oder violettes Licht erstrahlen lässt. Die abgesteppte Leder-Topausstattung oder die Beduftung des Innenraums wie im Maybach soll ebenfalls das Gefühl der Geborgenheit vermitteln, kann aber irritierend wirken.

Rein technisch betrachtet ist die S-Klasse bei den Infotainment-Systemen meist auf der Höhe der Zeit. Neu ist zumindest hier die Möglichkeit, sich Textnachrichten (SMS) oder Emails vorlesen zu lassen. Leider fiel die Entscheidung, das Spracherkennungssystem Siri einzusetzen, erst nachdem die S-Klasse entwickelt war. Das freie Diktieren von E-Mails oder SMS ist nicht möglich, und die vorwählbaren SMS-Bausteine sind dafür nur ein lückenhafter Ersatz. Immerhin lassen sich nun vollständige Adressen in einem Zug per Sprache eingeben, auch Telefon und Audiosysteme können mündlich bedient werden.

Ein Head-up Display fehlt. Aber warum?

Unverständlicherweise fehlt aber ein Head-up Display, das von Mercedes zu lange als sportliche Nischenlösung abgetan wurde. Wenn "Komfort auch der Sicherheit dienen soll", wie die Stuttgarter betonen, dann ist die Anzeige auf Augenhöhe ein Beitrag zum entspannten Fahren.

Auch eine Gestenerkennung gibt es im Daimler-Topmodell noch nicht, obwohl eifrig daran gearbeitet wird. Handbewegungen sollen künftig intuitiv durch die Infotainment-Menüs führen. Angesichts der anschwellenden Informationsflut durch die Vernetzung des Fahrzeugs dürfte sich die Wisch-und-weg-Bewegung schon bald großer Beliebtheit erfreuen.

© SZ vom 23.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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