NEFZ-Verbrauchsmessung:Tricksen für den Normverbrauch

Lesezeit: 5 min

Die Schere zwischen der Normangabe und dem tatsächlichen Verbrauch geht bei vielen Autos weit auseinander. Schuld ist der veraltete Testzyklus, der leicht zu überlisten ist. Doch Besserung ist in Sicht.

Von Thomas Harloff

"Das sparsamste Modell im Segment", "verbraucht 20 Prozent weniger Kraftstoff als sein Vorgänger" und Ähnliches: Die offiziellen Verbrauchsangaben der Hersteller begegnen uns immer wieder. In der Werbung, beim Durchblättern eines Modellprospektes oder im Verkaufsgespräch beim Autohändler. Doch nur ein verschwindend geringer Teil der Autofahrer schafft es tatsächlich, so sparsam zu fahren wie vom Hersteller in Aussicht gestellt.

Der "Neue Europäische Fahrzyklus" NEFZ, nach dem der Normverbrauch eines Autos ermittelt wird, ist vielen ein Dorn im Auge. Verbraucherschützer und Umweltverbände bemängeln, dass die seit den Neunzigerjahren gültige, auf eine Richtlinie von 1970 zurückgehende und seitdem nur minimal angepasste Messmethode zu weit von der Realität entfernt sei. Laut Deutscher Umwelthilfe sind nicht einmal die Autohersteller selbst glücklich mit dem derzeitigen Verfahren. Es biete zu viele Schlupflöcher und Ausweichmöglichkeiten und verzerre damit den Wettbewerb.

25 Prozent Differenz zwischen offiziellem und tatsächlichem Verbrauch

Dabei ziehen alle Automarken die gleichen Register, wenn es darum geht, ihre Produkte mit dem Prädikat "besonders sparsam" zu versehen - die einen mehr, die anderen weniger. Laut einer von der Deutschen Umwelthilfe veröffentlichten Studie des "International Council on Clean Transportation" ICCT von 2013 weicht selbst beim Hersteller mit der größten Realitätsnähe, Toyota, der tatsächliche vom offiziell angegebenen Spritverbrauch um 15 Prozent ab. Die durchschnittliche Differenz zwischen Herstellerangabe und wahrem Kraftstoffverbrauch liegt bei 25 Prozent. Die deutschen Premiumhersteller liegen im Ranking über diesem Schnitt: Fahrzeuge des Daimler-Konzerns verbrauchen in Wahrheit 26 Prozent mehr als angegeben, Audi-Modelle liegen 28 Prozent über der Werksangabe und Schlusslicht BMW baut Autos, die im realen Leben 30 Prozent durstiger sind als auf dem Papier.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt der ADAC Ecotest. Dieser wurde im März 2012 deutlich verschärft und berücksichtigt neben dem NEFZ auch andere Messmethoden. Zudem wird er mit eingeschaltetem Abblend- oder Tagfahrlicht sowie aktivierter Klimaanlage gefahren. Ein Vergleich der Deutschen Umwelthilfe ergab, dass seit Verschärfung der Testmethodik satte 84 von 144 getesteten Autos mehr als zehn Prozent mehr Kraftstoff verbraucht haben als vom Hersteller angegeben. Nur acht Fahrzeuge (5,6 Prozent) verbrauchten genauso viel oder weniger Sprit, der Rest lag zwischen einem und neun Prozent über der Werksangabe.

Der Autofahrer zahlt drauf

Die Liste der festgestellten Diskrepanzen zwischen Normverbrauch und tatsächlichem Spritkonsum lässt sich beliebig fortführen. Ob eine Auswertung des Autoclub Europa von 2012, bei der die 250 getesteten Autos im Schnitt 19,6 Prozent mehr Kraftstoff verbrauchten als vom Hersteller angegeben, oder immer wiederkehrend in den Tests der Fachpresse: So gut wie nie hält ein getestetes Auto das, was es auf dem Datenblatt verspricht. Laut ICCT muss der Autofahrer wegen diesen Unterschieden bis zu 300 Euro Mehrausgaben im Jahr in Kauf nehmen.

Der Hauptgrund für die für Autokäufer so ärgerlichen Verbrauchsunterschiede liegt in den Grauzonen des NEFZ, weshalb der Zyklus leicht ausgehebelt werden kann. Laut des europäischen Dachverbandes verkehrspolitisch aktiver Umweltorganisationen "Transport and Environment" T&E nimmt das Ausnutzen von Schlupflöchern bereits bei der Fahrwiderstandsmessung, die der eigentlichen Verbrauchsermittlung vorgeschaltet ist, manipulative Züge an. Die Verwendung besonders gut eingefahrener Prüffahrzeuge, rollwiderstandarmer Reifen oder von Hochleistungs-Schmierstoffen sind die naheliegende Maßnahmen. Doch es geht noch weiter. Laut ICCT-Mitglied Axel Friedrich werden teilweise sogar Elemente der Basisausstattung ausgebaut, um das Fahrzeuggewicht zu senken, oder die Reifen über den maximalen Luftdruck aufgepumpt. "Zudem werden für eine bessere Aerodynamik teilweise Türschlitze und Kühlergrill verklebt", sagt der Verkehrsexperte.

Nach diesem "Vorgeplänkel" kommt das Auto dann auf den Rollenprüfstand, der mit den Werten der Fahrwiderstandsmessung feinjustiert wird. Die Rollen geben daraufhin einen geringeren Widerstand auf den Reifen, was sich positiv auf den Verbrauch auswirkt. Zudem sind bei der Messung weder Klimaanlage, Radio noch Licht eingeschaltet. Doch damit nicht genug. Axel Friedrich schildert weitere Methoden. "Es gibt Hersteller, die koppeln die Lichtmaschine vom Motor ab, sodass der Kraftstoffverbrauch für das Aufladen der Batterie wegfällt", sagt der frühere Abteilungsleiter "Verkehr" im Umweltbundesamt. "Außerdem können die Bordcomputer neuer Autos dank ausgefeilter Diagnosetools erkennen, dass sie sich im Test auf einem Rollenprüfstand befinden, und daraufhin in einen optimierten Testmodus schalten."

"Der NEFZ ist für alle gleich"

Die Autohersteller halten sich bei dem Thema bedeckt und verweisen auf weitere Prüfinstanzen. "Bevor ein Auto mit einem bestimmten Normverbrauch zertifiziert wird, prüfen der TÜV und das Kraftfahrtbundesamt die Ergebnisse noch einmal nach", sagt ein Mercedes-Sprecher. "Zudem ist der NEFZ für alle gleich und über Unregelmäßigkeiten ist mir nichts bekannt. Insofern kann ich das weder bestätigen noch dementieren." In einer Stellungnahme von BMW heißt es: "Der aktuell gültige Neue Europäische Fahrzyklus NEFZ war nie dafür gedacht, den Alltagsverbrauch der Fahrzeuge zu ermitteln. Sein Fahrprofil ist vorrangig für die Zulassung aller Fahrzeuge konzipiert und erfordert daher ein hohes Maß an Reproduzierbarkeit und Messgenauigkeit im Laborbetrieb." Mit anderen Worten: Die aktuelle Messmethode schafft Rechtsverbindlichkeit und Vergleichbarkeit, ist als Kundenorientierung, wie viel Kraftstoff ein Auto im Alltag verbraucht, aber völlig ungeeignet. Trotzdem wird sie in Werbeanzeigen immer wieder angeführt.

Um den Kundennutzen des Normverbrauches zu erhöhen, wird die Forderung nach mehr Regulierung laut? "Die Bundesregierung hat dem Treiben der Autohersteller schon viel zu lange tatenlos zugesehen", sagt Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. "Bei offensichtlich fehlerhaften Angaben muss sie behördliche Nachmessungen unter realen Bedingungen veranlassen."

Wird durch das WLTP alles besser?

Ob es tatsächlich soweit kommt, steht in den Sternen. Es soll jedoch in Zukunft ein realistischeres, weltweit angewendetes Testverfahren zur Verbrauchsmessung geben. Die Vereinten Nationen verabschiedeten am 14. November das WLTP (World Light Vehicles Test Procedure), bei dem die Höchstgeschwindigkeit von 120 auf 130 km/h angehoben wird und das stärkere Beschleunigungen sowie eine Labortemperatur von 23 statt 30 Grad vorschreibt.

Manko: Die offiziellen Verbrauchswerte werden auch weiterhin auf dem Prüfstand und nicht auf der Straße ermittelt - zum Ärger von Axel Friedrich: "Solange es standardisierte Prüfzyklen geben wird, können Autos diese Testsituationen erkennen und für Dritte nicht nachvollziehbar auf einen besonders effizienten Spritsparmodus umschalten", sagt das ICCT-Mitglied. Dennoch sei das neue Messverfahren ein Schritt in die richtige Richtung: "Der WLTP ist repräsentativer für das normale Fahrverhalten", so Friedrich.

Offiziell stehen auch die Hersteller der WLTP aufgeschlossen gegenüber, denn sie müssen ihre Autos nicht mehr für jeden Markt neu zertifizieren. Das spart Kosten. Zudem gebe es weniger Interpretationsspielraum. "Die Randbedingungen sind klarer definiert als beim NEFZ", heißt es in einer Erklärung des Verbandes der Automobilindustrie VDA.

Jedoch ließe sich laut VDA pauschal sagen, dass die WLTP über alle Motorvarianten hinweg zu einem Mehrverbrauch führen werde. Das kann den Herstellern nicht gefallen, denn höhere Normverbräuche verschlechtern auch die CO2-Bilanz ihrer Angebotspalette. Das wiederum erschwert das Ziel, den von der EU ab 2020 vorgeschriebenen CO2-Grenzwert von durchschnittlich 95 g/km zu erreichen - und wer an dieser Hürde scheitert, muss Strafen zahlen. Deshalb hat der VDA bereits gefordert, die CO2-Ziele nach oben zu korrigieren.

Die USA als Vorbild?

Wann die WLTP kommt, ist allerdings unklar. Denn es obliegt den Ländern selbst, das Messverfahren als nationales Recht einzuführen. Die meisten Nationen wollen die Methode ab Oktober 2015 zum Standard der Verbrauchsermittlung machen. In Deutschland soll es 2016 oder 2017 soweit sein.

Mit den USA sträubt sich ausgerechnet einer der größten und wichtigsten Automärkte gegen das Testprozedere. Dort wird der Spritverbrauch seit 1975 im Rahmen des FTP-75-Tests mit einer realen Fahrt auf der Straße ermittelt. Experten halten das für eine gute Lösung. "Unbestritten ist der FTP 75 einer der besten Zyklen", sagt Reinhard Kolke, Leiter der ADAC-Abteilung Test und Technik, der Onlineausgabe des Handelsblattes. "Er ist sehr dynamisch und stellt hohe Anforderungen an Verbrauch und Abgasemissionen."

Die Amerikaner vertrauen ihrem Uralt-Test also mehr als dem neuen Messverfahren der Vereinten Nationen. Sie werden wissen, warum.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: