Fahrräder werden zu Design-Objekten:Pfauen-Räder

Lesezeit: 4 min

Fahrräder sind längst mehr als Nutzobjekte. Sie wandeln sich zum Statussymbol modebewusster Kunden. Denen ist spektakuläres Design wichtiger als moderne Technik. Diesen Trend gab es auch früher schon einmal.

Sebastian Herrmann

Das Kunstwerk wird in einer Kiste aus Holz geliefert. Durch Folie schimmern Orange, Gelb und etwas polierte Metalloberfläche. Der Schöpfer dieses Werkes ist der britische Designer Paul Smith. Und wie bei vielen Arbeiten bekannter Künstler ist der Materialwert bescheiden, der Verkaufspreis aber stolz. Dennoch unterscheidet sich dieses Werk: Es ist eigentlich ein Gebrauchsgegenstand - es handelt sich um ein Fahrrad, das allerdings unfassbar gut aussieht.

Richtiges Verhalten für Fußgänger und Radfahrer
:Auch kleine Sünden müssen bezahlt werden

Bei Rot über die Ampel, telefonieren auf dem Fahrrad, den Hundehaufen im Park liegen lassen: Diese Verstöße können schnell teuer werden. Aber wissen Sie auch, wie viel es genau kostet? Machen Sie den Test im Video-Quiz!

Von Ivonne Wagner und Christian Jocher-Wiltschka

Das Rad von Paul Smith, das im Münchner Laden der Firma Stilrad glänzt, steht für eine neue Entwicklung: Fahrräder wandeln sich gerade zum Lustobjekt kaufkräftiger Konsumenten, die sich nicht für Gangschaltungen, Federgabeln, Carbonfasern oder andere Aspekte hoch entwickelter Pedal-Technik interessieren. Diese Kunden betrachten das Rad als Statussymbol; sie wünschen, dass die Farbe der Pedale zu ihren Schuhen passt, das Leder des Sattels geschmeidig ist und die Form des Rahmens den Kleidungsstil komplettiert. Sattel und Lenkergriffe aus rot gegerbter Rochenhaut mögen absurd klingen, doch das pfauenhafte Radeln bringt einen angenehmen Nebeneffekt. Es tauchen neue kleine Firmen auf, die wunderschöne Fahrräder herstellen; und es entsteht ein Markt für Fahrrad-Accessoires, die von schön und sehr überflüssig bis schön und sehr praktisch reichen.

Galerie statt Laden

Die Münchner Filiale der Firma Stilrad wirkt mehr wie eine Galerie als ein Laden. Hier stehen Räder von Paul Smith, Firmen wie Retrovelo, Schindelhauer und Vanmoof wie Ausstellungsstücke auf weißen Podesten. Nicht alle Räder sind so reduziert wie die nackte Konstruktion ohne Gangschaltung und Bremsen von Paul Smith. Die meisten Räder sehen nur auf den ersten Blick schlank und abgespeckt aus. Bei zweiten Hinsehen offenbaren sich Nabenschaltungen, in die Rahmen integrierte Beleuchtung, Felgen- oder Scheibenbremsen, eng anliegende Schutzbleche und Ledersättel. Wer Kunde bei Stilrad ist, der interessiere sich mehr für Gin Tonic als für Kettenöl, heißt es auf einem Schild im Laden. Und der nehme auch in Kauf, dass ihn sein Rad widerspenstig mit dem Lenker schüttelt, "wenn das Shirt nicht zur Hose passt".

Offenbar bedienen Firmengründer Tina Umbach und Michael Vogt viele Kunden, die so denken: Vor vier Jahren eröffneten sie in München den ersten Laden. Mittlerweile verkaufen sie auch in Frankfurt, Berlin und Zürich puristische Räder an Stadtbewohner, für die das Statussymbol Auto längst an Strahlkraft verloren hat. Der mobile Angeber der Gegenwart kauft sich zum Beispiel das Modell "Ludwig" der Firma Schindelhauer und radelt zur Tagesbar. "Dann präsentiert man sich mit Espresso in der Hand und zeigt sein Rad", sagt Vogt. Sportwagen und Cabrio haben diese Kunden längst abgeschafft.

Wie sehr sich der optische Kult um Mode und Rad auf die Spitze treiben lässt, zeigt der Fotograf Horst Friedrichs, der in London lebt und radelt. Für seinen Bildband "Cycle Style" (Prestel Verlag, 24,95 Euro) hat er Menschen in der britischen Hauptstadt fotografiert, deren Outfit vom Tweedstoff bis hin zu Form und Farbe der Fahrradklingel so perfekt abgestimmt sind, dass man sich fragt: Kann man diese Räder auch fahren oder nur dreckig machen? Die Bilder des dänischen Fotoblogs Copenhagencyclechic.org sind etwas alltagsnäher - doch Stil der Räder und Radler sind nicht weniger perfekt aufeinander abgestimmt, wie der zugehörige Bildband zeigt (Mikael Colville-Andersen, "Cycle Chic", Prestel Verlag, 19,95 Euro).

Bei Stilrad in München begann der Weg zum schönen Radeln durch Mangel. Angeödet vom Autofahren in der Stadt machten sich Michael Vogt und Tina Umbach auf die Suche nach einem Fahrrad, einem schönen Fahrrad. Sie fanden keines. "Die Verkäufer in den Läden haben nicht mal verstanden, was ich wollte", sagt Vogt, "ich habe gesagt, ich hätte gerne ein Rad in einem schönen Blau und die haben mir was von 27 Gängen erzählt." Nach langer Suche entdeckte er Räder der Firma Retrovelo, kaufte einige, stellte sie in die Fenster seiner Marketingagentur.

Die Räder verkauften sich in erstaunlich kurzer Zeit und so entstand der Laden. Beliefert wird Stilrad vor allem von kleinen Herstellern, die ähnliche Motive antreiben. "Darunter sind viele Quereinsteiger", sagt Vogt. Die etablierten Fahrradhersteller seien zu schwerfällig, um die Lust am zweirädrigen Designobjekt zu bedienen - statt Stil steht Technik im Vordergrund. "Bei unseren Rädern geht es um die Liebe zu Details", sagt Vogt. Raffinierte Kabelführungen, kleine Ornamente, Klingeln aus poliertem Messing. Dazu kann der stilbewusste Radler handgenähte Ledertaschen einer Wiener Designerin kaufen, die sich über die Mittelstange des Rads hängen und mit einem Gummizug befestigen lassen.

Für das Gesamtbild bietet der Markt mittlerweile verchromte Standpumpen, Schraubenschlüssel mit poliertem Holzgriff oder Bügelschlösser in edlem Weiß an. Für eine Messe in Berlin trieben Vogt und Umbach diesen Trend kürzlich auf die Spitze: Als Marketinggag boten sie ein vergoldetes Fahrrad zum Preis von mehr als 8000 Euro an. Es fand sich ein Käufer.

Die meisten Räder bei Stilrad sind allerdings kaum teurer als in normalen Läden, auch die Komponenten gleichen sich. Nur sieht das fertige Produkt unendlich besser aus. Wie massentauglich der Trend zum schönen Rad ist, symbolisiert die Beteiligung des Herstellers eines der größten Populärgüter der vergangenen Jahrzehnte: Die Firma Levis vertreibt über Stilrad Hosen und Jacken mit dem Namen Commuter, die für Stadtradler entworfen wurden. Die Jeans wirken wie normale Hosen, sind aber wasserabweisend und am Hintern verstärkt, damit sie nicht so rasch durchscheuern.

Ob man mit diesem Outfit für einen Blog fotografiert wird, ist fraglich. Dafür sind die Sachen wohl zu praktisch. Das Fahrrad schwingt sich dennoch zum Luxusobjekt auf und kehrt so nach einer langen Reise zurück. Bevor es sich zu einem billigen Transportmittel für die Massen entwickelte, diente es als Prestigeobjekt für die Gecken der britischen Upper-Class. Im 19. Jahrhundert waren die Velocipede noch so teuer, dass sich nur reiche Menschen Räder leisten konnten. "Dandy Horses" nannte man die Räder damals halb spöttisch, halb bewundernd. Daran knüpfen die Pfauen-Räder der Gegenwart an - und sie sehen verdammt gut aus.

© SZ vom 18.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: