Boeing will grüner werden:Rastlos in Seattle

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Der größte Flugzeughersteller der Welt arbeitet mit Hochdruck daran, ein schier unlösbares Problem zu lösen: Fliegen ökologischer zu machen.

Klaus C. Koch

Nach außen sieht es weiterhin aus, als drehe sich alles nur um den Dreamliner. Tatsächlich steht Boeing extrem unter Druck, was den Roll-out des neuen Jets betrifft. Am Heimatstandort in Everett, wo die 787 montiert wird, wirkt die betreffende Hallensektion eher wie ein Großraumbüro. Auf Fußballfeldgröße sind die Ingenieure mit ihren Schreibtischen bis fast unter die Tragflächen gerückt. Was hier am Reißbrett verhandelt wird, setzen die Techniker sofort um.

Riesen fürs Reisen: In der größten Halle der Welt werden bei Boeing in Everett die Modelle 747, 767, 777 und 787 montiert - die Ingenieure arbeiten in Griffweite. (Foto: Ed Turner)

20 Prozent weniger Sprit als andere soll er verbrauchen, der Ausstoß von Stickoxiden um 28 Prozent, der Fluglärm um beinahe zwei Drittel abnehmen. Dabei wurde der Stellenwert, den das Thema Nachhaltigkeit haben kann, beim größten Flugzeughersteller der Welt lange Zeit unterschätzt.

Das hat sich geändert, seit Jeanne Yu, Ingenieurin im Bereich Thermotechnik, als neue Umweltchefin der Passagierfliegersparte dem Management im Nacken sitzt. Auf die Frage, ob Fliegen überhaupt ökologisch sein kann, zuckt sie mit keiner Wimper. "Wir haben schon vieles gelöst", sagt sie, "was unlösbar aussah."

In der Tat ist nicht nur am Hauptsitz am Puget Sound, sondern auch in vielen anderen Boeing-Werken in jüngerer Zeit kaum ein Stein auf dem anderen geblieben. Seit William Edward Boeing, Sohn eines deutschen Auswanderers namens Böing, in der berühmten Roten Scheune sein erstes Flugzeug bastelte, sind bald 100 Jahre vergangen.

Hobel, Schleifpapier und Säge waren einst die wichtigsten Arbeitsutensilien, heute, im Elektronikzeitalter, macht das Schlagwort von der Klimaneutralität die Runde. Und die hat nicht nur mit der Senkung des Treibstoffverbrauchs zu tun. Technische Neuentwicklungen dienen vermehrt dem Ziel, Treibhausgase, die durch Bau und Betrieb von Jets entstehen, an anderer Stelle - etwa durch die Nutzung nicht- fossiler Brennstoffe und umweltverträgliche Produktion - einzusparen. Yu: "Wir haben sämtliche Produktionsprozesse von vorne durchdacht."

In der mit 13,4 Millionen Kubikmeter größten Halle der Welt, die 1968 für die Endmontage der 747 in Everett gebaut wurde, montiert man seit 1980 auch die Boeing 767 und seit 1993 die 777. Im Westflügel werden gerade die Tragflächen für eine 747-8 zusammengebaut.

Ein paar Meter weiter warten die GEnx-Triebwerke, die durch angepasste Auslassöffnungen der Turbofans nicht nur im Dreamliner, sondern auch in der 747-8 einen guten Teil der Lärmreduzierung bewerkstelligen sollen, auf ihren Einbau. Jetzt, in der Werkshalle, wirkt der Gigant noch unbeholfen: Aufgrund seiner schieren Größe müssen ihn die Ingenieure schräg durch die Halle bewegen, um mit den 111 Fuß (33,8 Meter) langen Tragflächen nicht anzustoßen.

In einem weiteren Hallensegment wurde für die 777 eine "schlanke Produktion" realisiert, bei der die Flugzeuge in Schritttempo von einer Konstruktionsstufe auf die jeweils nächste vorrücken, ohne dass sich die Wege der Mechaniker und Bauteilzulieferung permanent kreuzen.

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Die Montage der Flügel, Rumpfsektionen und Triebwerke wurde von 26 auf 17 Tage gestrafft. "Damit haben wir zugleich unseren Energieverbrauch gesenkt", sagt Yu. Im Vergleich zu 1999 sollen es 37 Prozent weniger sein. Boeings Umweltbericht 2010 spricht von einer Senkung der Kohlendioxid-Emissionen um ein Drittel gegenüber 2002.

Mit einem 2,1-Milliarden-Dollar-Paket wollen das Massachusetts Institute of Technology (MIT) und die Nasa über die nächsten 25 Jahre hinweg Forschungsaktivitäten in der Triebwerks- und Strömungstechnik vorantreiben. "Bis dahin", sagt Jeanne Yu, "wird sich der Flugverkehr verdoppeln." Trotzdem soll sich der Anteil an den verursachten Kohlendioxid-Emissionen von heute zwei auf nicht mehr als drei Prozent erhöhen.

Dazu sollen auch Biotreibstoffe beitragen, die um 80 Prozent sauberer als erdölbasierte Treibstoffe wären. Realistisch, sagt Yu, sei bis 2016 allerdings höchstens ein Anteil von einem Prozent Bio am Gesamt-Treibstoffverbrauch.

Neben der Lärmreduzierung durch die Modifizierung der GEnx-Triebwerke betrifft eine der humansten Maßnahmen, mit denen Boeing dem Bedürfnis nach Umweltverträglichkeit nachkommt, die Arbeiter der Flugzeugherstellung selbst: Schon seit einiger Zeit laufen Bestrebungen, das bislang als Grundierung verwendete Chrom aus der Flugzeuglackierung zu eliminieren.

Der Giftstoff verhindert die Korrosion, erklärt Randy Jahren, der im Farblabor in Werk 2 in Tukwila an Alternativen arbeitet. Jahren ist mit den bisher erzielten Ergebnissen zufrieden. CFK ist nicht mehr so korrosionsanfällig wie Aluminium. Zurzeit laufen Tests mit Maschinen der brasilianischen Fluglinie GOL und der holländischen KLM.

© SZ vom 18.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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