An Bord der "Nordic":Schlepper in der Not

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Gerüstet für den Ernstfall: Die "Nordic", gebaut für den maritimen Ernstfall, ist das stärkste und modernste Spezialschiff weltweit.

Tobias Opitz

Es gehört zu den Schreckensszenarien an den deutschen Küsten schlechthin: Ein brennender Tanker treibt manövrierunfähig in schwerem Sturm, die Mannschaft hat das Schiff aufgegeben. Was droht, ist eine unüberschaubare Umweltkatastrophe, wenn der Havarist auf Grund laufen sollte - Abertausende Tonnen Öl würden alles Leben im Wasser, im Wattenmeer und an den Stränden vernichten.

Notschlepper "Nordic"
:Gerüstet für den Ernstfall

Die "Nordic", gebaut für den maritimen Ernstfall, ist das stärkste und modernste Spezialschiff weltweit.

Um in einem solchen Ernstfall zu retten, was zu retten ist, stehen im Auftrag der Bundesregierung acht Spezialschiffe 365 Tage rund um die Uhr in Nord- und Ostsee zur Verfügung. Jüngstes Schiff dieser Flotte ist die Anfang des Jahres in Dienst gestellte Nordic - der derzeit stärkste Notschlepper weltweit und der modernste seiner Art.

Das auf der Peene-Werft in Wolgast vom Stapel gelaufene Schiff, dessen Baukosten inoffiziell mit knapp 50 Millionen Euro angegeben werden, hatte in der Nacht zum 1. Januar den mittlerweile 42 Jahre alten Notschlepper Oceanic abgelöst, der seit 1996 in der Deutschen Bucht für Sicherheit gesorgt hatte.

In Auftrag gegeben wurde die Nordic von der Arbeitsgemeinschaft Küstenschutz, zu der sich die Schleppreedereien Bugsier, Fairplay, Unterweser Reederei und die Wiking Helikopter Service GmbH zusammengeschlossen haben.

Und die Vorgaben, die im Sommer 2006 im Deutschen Bundestag in der europaweiten Ausschreibung für den Chartervertrag eines neuen Notschleppers festgelegt wurden, waren umfassend: "...bei sechs Meter Tiefgang die Leistung von 200 Tonnen Pfahlzug und 19,5 Knoten Geschwindigkeit sowie für den Einsatz in gefährlicher Atmosphäre geeignet".

Das Notschleppkonzept des Bundes sieht vor, dass ein havariertes Schiff an der deutschen Küste innerhalb von zwei Stunden erreicht und an den Haken genommen werden muss, um eine drohende Strandung zu verhindern. Daraus leitet sich die vorgegebene hohe Geschwindigkeit der Nordic ab; selbst bei Windstärke neun und fünf Meter hohen Wellen von vorn sind noch 14 Knoten, umgerechnet knapp 26 km/h, möglich.

Rettungstechniken auf See
:Für den Notfall

Die Rettungsmittel in der Handelsschiffahrt und an Bord von Kreuzfahrtschiffen werden immer perfekter.

Dafür sorgen nicht nur die gemeinsam mit der Hamburgischen Schiffbauversuchsanstalt entwickelten Rumpflinien, sondern vor allem die beiden 20-Zylinder-Hauptmotoren, die zusammen 17.200 kW (23.400 PS) leisten und vom Friedrichshafener Motorenhersteller MTU geliefert wurden. Zwei Verstellpropeller mit einem Durchmesser von vier Meter übertragen diese gewaltige Kraft ins Wasser.

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:Harte Schnitte

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Kraft, die nicht nur fürs Tempo, sondern vor allem für die 201 Tonnen Pfahlzug des 78 Meter langen Schleppers sorgt. Mit dieser Zugkraft, die weltweit zu den höchsten zählt, ist es der Nordic bei schwerer See möglich, auch einen manövrierunfähigen Containerriesen so lange zu sichern und aus der Gefahrenzone zu halten, bis ihn andere Bergungsschlepper übernehmen können.

Verbunden werden Notschlepper und Havarist dazu mit schwerem Schleppgeschirr, das an Bord der Nordic bereitgehalten wird. Zwei jeweils 1200 Meter lange, 80 Millimeter starke und auf zwei elektro-hydraulischen Winden gelagerte Stahltrossen stellen, verlängert mit armdicken Dyneema-Schleppleinen, im Ernstfall die Verbindung her.

Was die Nordic neben der enormen Zugkraft weltweit einzigartig macht, ist die Tatsache, dass sie mit einer außenluftunabhängigen Schutzluftversorgung ausgerüstet ist. Damit ist es dem Schiff und seiner Besatzung möglich, sich auch solchen Havaristen bis auf wenige Meter zu nähern, bei denen gesundheitsschädliche, entzündliche oder - besonders gefährlich - völlig unbekannte Giftstoffe aufgrund eines Feuers oder eines Lecks austreten.

Kommt es zu einem solchen Fall, werden alle Türen und Klappen des Aufbaus einschließlich des Maschinenraumes hermetisch verriegelt; gleichzeitig wird im Inneren des Schiffes ein leichter Überdruck aufgebaut. Während auf anderen Schiffen dann spezielle Filter die von außen angesaugte Luft reinigen, sorgen an Bord der Nordic insgesamt 108 jeweils 50 Liter große Luftflaschen, die unter jeweils 300 bar stehen, für Atemluft.

Acht Stunden kann so die Besatzung in der mit dem Lübecker Unternehmen Dräger entwickelten gasdichten Zitadelle arbeiten; auf das Arbeitsdeck führen Gasschleusen, durch die dann die Decksleute in schweren Chemikalienschutzanzügen zum Aufbau einer Notschleppverbindung gehen können. Bei der Rückkehr ins Schiff werden die Anzüge der Einsatzkräfte dekontaminiert; für den Fall, dass das nicht möglich ist, müssen die Männer bis zum nächsten Hafen samt Anzügen in eine Quarantänestation.

Für die kommenden zehn Jahre hat das Bundesverkehrsministerium die Nordic, die rund um die Uhr auf einer Seeposition zehn Meilen nördlich von Norderney über die Deutsche Bucht wacht, gechartert. 114 Millionen Euro kostet das insgesamt, pro Tag mithin rund 31.000 Euro. "Überschaubare und gegenüber dem Steuerzahler vertretbare Kosten", sagt Carsten Wibel, Projektmanager Küstenschutz bei der Hamburger Reederei Bugsier, die die Nordic operativ betreut und auch die Besatzung stellt.

Denn damit sei alles abgedeckt: Personalkosten, Reparaturen, Wartungsverträge, Versicherungen; auch das Stellen eines adäquaten Ersatzschleppers bei einem Werftaufenthalt der Nordic ist laut Chartervertrag Sache der Reederei. Nur die Brennstoffkosten kommen noch obendrauf - einmal volltanken kostet rund 500.000 Euro. Carsten Wibel: "Das ist genauso wie bei einem Mietwagen. Wir haben ja keinen Einfluss darauf, wohin das Schiff im Ernstfall unter welchen Bedingungen und wie schnell fahren muss."

Gefahren wird das Schiff von 14 Mann Besatzung - Nautiker, Techniker, Schiffsmechaniker, ein Koch für drei warme Mahlzeiten am Tag. Dazu kommen noch weitere vier Mann, ein Nautiker und drei Schiffsmechaniker. Dieses sogenannte Boardingteam wird im Ernstfall per Hubschrauber auf einen Havaristen gebracht, um von dort aus die Notschleppaktion zu unterstützen, Feuer zu löschen oder erste Rettungsmaßnahmen durchzuführen.

Und: Zusätzlich zur Stammbesatzung hat die Nordic Platz für zehn Schiffsmechaniker-Auszubildende, einen Klassenraum und die Ausbildungswerkstatt. Carsten Wibel: "So sichern wir guten Nachwuchs, denn die Schlepperei, ob in den Häfen oder auf See, ist ein besonderes Geschäft."

Jeweils 28 Tage ist die Nordic ohne Unterbrechung in der Nordsee in Alarmbereitschaft - normalerweise nahe Norderney vor Anker, ab acht Windstärken dann in freier Fahrt. An Bord, so lobt die handverlesene Crew, ist alles dafür getan, um in den vier Wochen auch nach Dienstschluss gut über die Runden zu kommen. Die Mitglieder der Stammbesatzung können sich alle in eigene Kammern zurückziehen; abends trifft man sich in einem Fernsehzimmer, in dem sogar eine kleine Hausbar steht.

Allerdings, so Carsten Wibel, gibt es es nur Alkoholfreies: "Die Nordic ist ein trockenes Schiff!" Und noch eine Besonderheit drückt die Atmosphäre an Bord des weltweit modernsten Notschleppers aus. Schon vor der ersten Reise beschlossen die Stammbesatzungen und die Kapitäne Tobias Pietsch und Arne Hildebrandt, gemeinsam zu essen - das für die Offiziere gedachte Extrazimmer wurde zum Fitnessraum. Carsten Wibel: "Eine neue Generation von Seeleuten."

© SZ vom 28.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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