Blitzer-Marathon:Vorsicht Falle

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Die Polizei greift zu drastischen Mitteln: An diesem Mittwoch machen 4000 Blitzer in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und den Niederlanden Jagd auf Raser. Doch bringen solche Aktionen etwas? Verkehrspsychologen bezweifeln das.

Claudia Fromme

Es ist erstaunlich, wie viel Hass Menschen Radarfallen entgegenbringen. Regelmäßig werden Anlagen abgesägt, Linsen zerschossen, mit Kot beschmiert. Die Kühneren unten den Kritikern bescheren den Mitarbeitern der Ordnungsämter Bilder, die nicht jeder sehen mag. Gereckte Mittelfinger sind ein Klassiker, entblößte Hinterteile machen regelmäßig ihre Aufwartung, seltener werden primäre Geschlechtsmerkmale vorgeführt.

Blitzer lösen ganz offensichtlich starke Gefühle aus, und darum ist es nachvollziehbar, dass der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger mit Vorsicht an das Thema herangeht und bereits am Montag ankündigte, was er mit seinen niedersächsischen und niederländischen Kollegen an diesem Mittwoch vorhat: Mit 4000 Radarfallen machen mehrere tausend Polizisten in beiden Bundesländern und beim Nachbarn Jagd auf Raser. Ab sechs Uhr, 24 Stunden lang, alle Kontrollstellen sind bekannt. Blitzen mit Vorwarnung, Wutausbrüche und Entblößungen sind nicht zu erwarten.

Noch nie gab es eine so umfangreiche Blitzaktion. Doch der Sinn solcher flächendeckenden Radarjagden ist umstritten, wie der Einsatz von Blitzern überhaupt. Der SPD-Politiker Jäger indes sieht die Aktion schon jetzt als Erfolg. So einen "Blitzmarathon" hat es in NRW schon zweimal gegeben, das letzte Mal im Juli mit 2600 Radarfallen. Bis Ende September starben 15,4 Prozent weniger Menschen auf den Straßen in NRW als im Vorjahreszeitraum, das sind 73 Verkehrstote weniger. "Statistisch lässt sich nicht belegen, welchen Anteil die verstärkten Polizeikontrollen an den Zahlen haben", gibt Jäger zu. Aber er sei davon überzeugt, dass allein die Diskussionen um die Aktion einen wichtigen Beitrag dazu geleistet habe. Tatsächlich? In Niedersachsen ist die Zahl der Verkehrstoten in der selben Zeit auch zurückgegangen, um 11 Prozent - ohne Blitzmarathon.

Ein "Tag der Vernunft" sei das gewesen, sagte Minister Jäger nach dem Blitzmarathon im Juli. Von allen kontrollierten Verkehrsteilnehmern seien nur drei Prozent zu schnell gefahren. Wenn unangekündigt geblitzt würde, wären es acht Prozent. In jedem Fall sei das ein "Lerneffekt".

Der Verkehrspsychologe Karl-Friedrich Voss bezweifelt das. Der Blitzmarathon sei eine große Werbemaßnahme für die Polizei in ihrem Bemühen um mehr Verkehrssicherheit, sagt Voss, der Vorstandsmitglied im Bundesverband Niedergelassener Verkehrspsychologen ist. "Einen Lerneffekt erwarte ich nicht", sagt er, die Menschen führen nur wegen der Kontrollen langsamer. Dies sei ein generelles Manko der Radarfallen. "Der Wissenstransfer, dass man sich auch an anderen Stellen an das Tempolimit hält, passiert nicht." Bei festen Radarfallen sei das am augenfälligsten. Monate später flattere der Bußgeldbescheid ins Haus. "Lernpsychologisch ist das Unsinn", sagt Voss. Radarpistolen und Videowagen mit Sofortkasse seien wirksamer.

Ideal findet er sie dennoch nicht. "Die Polizei ist übereifrig beim Blitzen", kritisiert er. Die vom ADAC geäußerte Kritik, dass Kommunen Blitzer an viel befahrenen aber nicht unbedingt unfallträchtigen Stellen aufstellen, um womöglich Kasse zu machen, will er nicht kommentieren. Doch führe das Zuviel an Blitzern dazu, dass Fahrer fremdkontrolliert statt selbstkontrolliert seien. "Angst vor Strafen ist keine Einsicht." Von den verbotenen Blitzer-Warnern, die CDU und FDP erlauben wollen, hält er nichts. Navigationsgeräte und Handy-Apps sollen künftig verraten dürfen, wo Blitzer stehen. "Ich bin dagegen, weil man dann wirklich nur noch im Bereich der Radargeräte angemessen fährt."

Kritik übt Voss auch am Zeitpunkt der meisten Radarmessungen. Tödliche Unfälle würden vor allem von jüngeren Fahrern ausgelöst. Die seien aber dann unterwegs, nachts und am Wochenende, wenn nur wenig geblitzt würde. Punkte für Geschwindigkeitsüberschreitungen bekämen so überproportional Menschen aus Altersgruppen mit geringem Unfallrisiko. Natürlich sei er dafür, dass Tempoverstöße geahndet werden, ob die derzeitige Blitzpraxis die Lösung ist, bezweifelt er. Letztendlich seien Blitzer die billigste Methode, ein Tempolimit durchzusetzen. Wirksamer seien bauliche Maßnahmen wie Verschränkungen der Fahrbahn am Ortseingang. "Ich bin für den partnerschaftlichen Weg, die Polizei offenbar nicht", moniert Voss.

Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Polizeigewerkschaft, sieht den Blitzmarathon indes positiv. Er möchte in der Fremdkontrolle aber noch einen Schritt weitergehen und empfiehlt die Halterhaftung, wie sie in den Niederlanden praktiziert wird. Dann muss für das Blitzfoto, das nach der Schnellfahrt nach Hause kommt, derjenige haften, dem der Wagen gehört. Mehr als 2000 Polizisten seien damit beschäftigt, nach Tempoverstößen zu ermitteln, sagt Wendt. Die Halterhaftung besitze abschreckende Wirkung - und entlaste Polizisten. Bis zu 40 Prozent der Verstöße könnten in Deutschland gar nicht geahndet werden. "Die Behauptung vieler Fahrzeugführer, nicht gefahren zu sein, ist oft gelogen."

Auf diese Ausrede konnte sich ein 17-jähriger Münchner nicht zurückziehen. Ganze 25 Mal ist der Jugendliche in einer Nacht innerorts mit seinem frisierten Moped mit 100 Kilometern pro Stunde in einen Blitzer gerauscht und hat den Mittelfinger in die Kamera gehalten. Beim 26. Mal begrüßte ihn die Polizei. Einsichtsfähig soll der junge Mann überhaupt nicht gewesen sein.

© SZ vom 24.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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