Zoologie:Das Phantom der Berge

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Tierschützer machen sich derzeit Gedanken, wie sich Schneeleoparden besser schützen lassen. (Foto: DNPWC/WWF Nepal/dpa)

Schneeleoparden sind wahrscheinlich die scheuesten Raubkatzen der Welt. Der Mensch gefährdet ihr Überleben, obwohl er ihnen kaum begegnet.

Von Arne Perras

Im Film "Das erstaunliche Leben des Walter Mitty" spielt Ben Stiller einen Tagträumer, der sich aus seinem schlichten Leben in eine fiktive Welt voller Abenteuer flüchtet. Einmal führt ihn die Reise in die eisigen Höhen des Himalaja, wo er den Fotografen Sean O'Connell aufspürt. Der lauert mit seiner Kamera hinter einem Felsen, er wartet auf den großen Moment. "Der Schneeleopard heißt auch Geisterkatze, weil er sich nämlich nie blicken lässt", sagt der Fotograf. "Schöne Dinge fragen nicht nach Aufmerksamkeit."

Es ist wirklich unglaublich schwer, dem leisen Jäger auf die Spur zu kommen. Panthera uncia zählt zu den scheusten Raubkatzen der Welt - und zu den sehr seltenen. Es gibt nur noch 3500 bis 7000 Tiere dieser Art. Auf einer Konferenz in Nepal beraten derzeit Umweltschützer und Minister aus der Region, wie es gelingen könnte, die Schneeleoparden vor dem Aussterben zu bewahren. Die Katzen gelten als Phantome der Berge. Ihnen zu folgen, ist wegen des steilen Terrains oft lebensgefährlich und selten gelungen. Dass sich der Schneeleopard so erfolgreich den Blicken entzieht, garantiert jedoch keineswegs sein Überleben. Wilderer und wütenden Bauern aber auch die Veränderungen des Klimas machen seine Zukunft ungewiss. Steigende Temperaturen lassen Gletscher schmelzen, die Baumgrenze wandert vielerorts nach oben, Gebirgszonen verändern ihre Vegetation. Eine Studie im Fachblatt Biological Conservation kam 2012 zum Schluss, dass Schneeleoparden bis zu 30 Prozent ihres Lebensraum verlieren dürften.

Die scheuen Raubkatzen töten Tiere, die dreimal so schwer sind wie sie selbst

Der nepalesische Biologe Rinjan Shrestha beobachtete beim Treffen in Kathmandu immerhin, dass es einen stärkeren politischen Willen für Schutzprogramme gibt als früher. "Gleichzeitig müssen wir damit rechnen, dass der Klimawandel die Gefahren für die Katzen erheblich verschärft." Zum einen schrumpfen die alpinen Lebensbereiche, wenn der Wald aufgrund milderer Temperaturen nach oben vordringt. Das öffnet auch neue Wege für die Menschen, die bald Flächen in größerer Höhe landwirtschaftlich nutzen könnten. "Außerdem wissen wir, dass Schneeleoparden große Wälder meiden, sie sind angepasst an die schroffen Zonen", sagt Shrestha. Dort leben ihre Beutetiere, Blauschafe, Steinböcke, Schraubenziegen. Nur selten ist es gelungen, die gedrungenen, bis zu 50 Kilogramm schweren Raubkatzen bei der Jagd zu filmen. Sie können Huftiere töten, die dreimal so schwer sind wie sie selbst.

Dabei schrecken sie selbst vor extremen Steilhängen kaum zurück. "Das Problem ist: Die Raubkatzen haben kaum Ausweichmöglichkeiten", sagt Shrestha, Experte für Asiens Großkatzen beim WWF. Als Räuber folgen Schneeleoparden ihrer Beute. Und die findet im ewigen Eis nichts zu fressen. Verschwinden Bergschafe und wilde Ziegen, werden die Katzen stärker auf Nutztiere in ihrer Nähe ausweichen. Das ist jetzt schon vielerorts zu beobachten, auch in der Mongolei, wo sich solche Probleme im Winter häufen. Anders als in den europäischen Alpen, wo Bauern ihr Vieh im Herbst aus den Bergen in die Ebenen treiben, zieht es mongolische Hirten gerade im Winter nach oben. Sie müssen mit ihren Tieren den frostigen Winden der großen Ebenen entkommen. In den Gebirgstälern suchen sie Schutz. Dort aber jagt der Schneeleopard. "Es kommt vor, dass so eine Katze einem Hirten 30 bis 50 Tiere nimmt", sagt der Ökologe Markus Radday. Nun gibt es Versuche, durch Versicherungen für Nutztiere zu verhindern, dass wütende Hirten Schneeleoparden nachstellen, um sie zu töten.

In den Revieren werden neuerdings auch gewöhnliche Leoparden gesichtet

Die Raubkatzen sind aus vielen Gründen gefährdet, ihr Bestand ist seit 2000 um ein Fünftel geschrumpft. Das Fell ist vor allem in früheren Ostblock-Staaten begehrt, Zähne, Knochen und Penis taugen in Fernost als Tigerersatz. Dort wird den Körperteilen medizinische oder potenzsteigernde Wirkung nachgesagt, ohne dass es dafür Nachweise gibt.

Das Leben der Katzen ist nur mühsam zu erforschen. So rätseln Experten nun auch, was neue Bilder bedeuten, die aus Tibet stammen. Die Aufnahmen einer Videofalle zeigen, dass nicht nur Schneeleoparden vor der Linse vorbeischleichen, sondern auch gewöhnliche Leoparden. "Diese Entdeckung muss dringend untersucht werden", sagt der nepalesische Umweltexperte Koustubh Sharma. Niemand weiß genau, wie stark die Lebensräume der Raubkatzen bereits überlappen. "Aber wir fra-gen uns natürlich: Was geschieht, wenn Leoparden aus tieferen Regionen nach oben ziehen?" Möglicherweise wird dies die Konkurrenz um Beute verschärfen. "Von Leoparden wissen wir, wie anpassungsfähig sie sind", sagt Shrestha. "Gut möglich, dass sie im Zuge des Klimawandels ganz neue Höhen erschließen." Werden sie die Schneeleoparden verdrängen? "Wir sind noch weit davon entfernt, das alles zu verstehen", sagt der Biologe. Über das Phantom der Berge weiß man eben noch immer viel zu wenig.

© SZ vom 20.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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