Wildtier-Monitoring:SMS vom Luchs

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Die Katzen sind zurück im Bayerischen Wald, doch Jägern und Waldbauern bereitet das Sorgen. Mit GPS-Empfängern und Mini-Handys wollen Forscher die Tiere "im Auge behalten".

Evdoxia Tsakiridou

Der blonde, hochgewachsene Mann sieht aus, wie man sich einen Wildhüter wohl vorstellt: grünes Hemd, grüne Cargo-Hose, Trecking-Schuhe. Fehlen nur Hund und Feldstecher. Diese Requisiten aber sucht man bei Marco Heurich vergeblich.

Das Gerät, das der Wildhüter im Nationalpark Bayerischer Wald, am häufigsten benutzt, steht in seinem Büro in der Verwaltung des Nationalparks in Grafenau: ein Computer mit zwei riesigen Bildschirmen und Internetanschluss.

Heurich lädt eine Karte des Nationalparks. Mehr und mehr rote Punkte tauchen auf, und nach kurzer Zeit ist der Plan mit roten Markierungen übersät. "Die Punkte zeigen die Aufenthaltsorte von Nora, einer von zwei Luchsen, die seit kurzem wieder hier heimisch sind", erklärt der Wildtierbiologe.

Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war der eurasische Luchs in Bayern verschwunden und in West-Europa bis etwa 1960 vollständig ausgerottet. Nun ist er im Bayerischen Wald wieder aufgetaucht. Doch nicht jeder freut sich über den Rückkehrer. Jäger und Waldbauern beispielsweise befürchten, das nachtaktive Tier mit den charakteristischen Pinselohren könnte Jagdbestände und Nutztiere reißen.

Im Nationalpark ist man sich des Konfliktpotentials durchaus bewusst, deshalb initiierten die Verantwortlichen das Projekt " Dem Luchs auf der Spur". Damit möchten die Wildtierbiologen einerseits mehr über die Standorte und Lebensgewohnheiten der größten europäischen Katze erfahren. Andererseits geht es darum, das Verhalten zwischen dem Räuber Luchs und den Beutetieren Reh und Rothirsch zu erkunden.

Um die Tiere nicht zu stören, greifen die Forscher auf modernste Mobilfunktechnik zurück. Neben den zwei Luchsen Nora und Patrick tragen noch zehn Rothirsche und 40 Rehe Halsbänder, die zwei Module enthalten: einen GPS-Empfänger, der die Position der Tiere bestimmt, und eine Art Mini-Handy, das Kurzmitteilungen versenden kann. Per SMS-Nachrichten senden die Tiere regelmäßig Informationen über ihren Aufenthaltsort und ihre Aktivität nach Grafenau.

Die Nationalpark-Mitarbeiter können über eine Datenbank darauf zugreifen und die Standorte der Tiere auf einer interaktiven Karte darstellen. "Mit GPS erreichen wir eine Genauigkeit von 15 Metern. Bei der konventionellen Fernpeilung waren es rund 100 Meter", sagt Marco Heurich. Außerdem ließen sich mit der alten Methode die Positionen der Tiere nur einmal pro Woche erfassen.

Jetzt werden sie jede halbe Stunde abgefragt. Und wenn es Heurich und seine Kollegen ganz genau wissen wollen, können sie die Geräte auch so programmieren, dass Positionsmeldungen häufiger abgesetzt werden. Auf einer eigens eingerichteten Webpräsenz können Naturfreunde die Wanderwege der Tiere anhand einer Karte studieren.

Automatisierte Information

Möglich macht dies eine Kooperation mit dem Lehrstuhl für Mobile und Verteilte Systeme der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Seit dem vergangenen Jahr ist das rund 24.000 Hektar große Areal mit der fast unberührten Waldlandschaft Testgebiet für modernste Mobilfunktechnologien.

Lehrstuhlinhaberin Claudia Linnhoff-Popien und ihre Mitarbeiter, die beiden Informatiker Georg Treu und Johannes Martens, prüfen im Bayerischen Wald die Funktionstüchtigkeit einer neu entwickelten Plattform für standortbezogene Dienste.

Solche Dienste verhießen Handybesitzern während der Zeit der ersten großen Internet-Euphorie virtuelle Stadtführungen oder Restauranttipps. Doch die Dienste kamen nicht an. "Damals ließ sich das Handy nur über die Funkzelle lokalisieren, was zu ungenau war", sagt Linnhoff-Popien. Als Alternative blieb den Anwendern, ihre Standortinformationen eigenhändig an den Diensteanbieter zu übermitteln. Das war potentiellen Nutzern zu umständlich und zu teuer.

Heute umschreibt man standortbezogenen Dienste gerne mit dem Begriff "mobiles Internet". Endgerätehersteller wie Nokia, HTC, Samsung oder Motorola bieten längst Mobiltelefone mit GPS-Chip zur Positionsbestimmung per Satellit an. "Mit GPS sind die Endgeräte viel genauer.

"Die Punkte zeigen die Aufenthaltsorte von Nora." (Foto: Foto: Natinalpark Bayerischer Wald)

Außerdem verfügen sie über viel mehr Speicher- und Prozessorkapazität, so dass sich Dienste lokal auf dem Gerät ausführen lassen. Für den Nutzer ist das günstiger, denn es fallen nur dann Kosten an, wenn sein Handy mit dem Server des Mobilfunkbetreibers kommuniziert", sagt die Informatikerin. Und dabei werden nur wenig Daten übertragen.

Allerdings benötigen die Geräte geeignete Software, um Ortsinformationen verarbeiten zu können. Eine solche hat das Team um Claudia Linnhoff-Popien entwickelt. Das Programm ist Teil der für den Nationalpark verwendeten Plattform zur Ortung von Personen und mobilen Gütern und unterstützt so genannte Push-Dienste.

Bei dieser Technologie muss der Nutzer nur einmalig gewisse Voreinstellungen vornehmen, die gewünschten Informationen werden ihm dann von seinem GPS-Endgerät auf den Bildschirm geschoben.

Kinder-Monitoring mit GPS-Handy

Die drei Informatiker, die vergangenes Jahr eine Ausgründung namens Aloqa auf den Weg gebracht haben, sehen eine Reihe von Anwendungen. So kann ein Kind mit einem GPS-Handy ausgestattet werden, das im Internet, etwa über Google-Maps, für eine bestimmte Zone freigeschaltet wird.

Verlässt der Nachwuchs den definierten Bereich, erhalten die Eltern eine SMS, und der aktuelle Aufenthaltsort ihres Kindes wird auf einer Karte angezeigt. Standortbezogene Dienste, glauben die Experten, wären auch für junge Leute interessant. Sie könnten ihre Mobilfunkgeräte so einstellen, dass sie eine Nachricht erhalten, wenn sich ihre Freunde gerade in der Nähe befinden und sich dann spontan treffen.

Wann die Software der Junggründer auf den Markt kommt, hängt vom Interesse der Netzbetreiber und Inhalteanbieter ab. Besucher des Nationalparks kommen dagegen bald in den Genuss eines standortbezogenen Dienstes. "Wir möchten ihnen ab nächstem Jahr einen virtuellen Waldführer an die Hand geben", sagt Marco Heurich.

Je nach Standort weist ein mobiles Endgerät die Wanderer auf interessante Pflanzen und Bäume hin, zeigt ihnen kurze Videosequenzen, etwa zur Lebensweise von Wildschweinen und Ottern, oder Informationen zu seltenen Waldvogelarten wie Auerhuhn, Dreizehenspecht und Sperlingskauz. Oder es weist ihnen den Weg zum Tier-Freigelände, wo sie mit etwas Glück freilebende Wisente sehen können.

Und wer weiß, vielleicht erleben die Gäste dann einen weiteren Neuankömmling, der die Fauna des Nationalparks bereichern dürfte: Vor kurzem wurde dort der erste Elch gesichtet.

© SZ vom 15.04.2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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