Was wäre, wenn ...:Brünftig in der Weihnachtszeit

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Was wäre, wenn der Mensch nur noch einmal im Jahr brünftig würde - und das ausgerechnet in der Adventszeit? Die Gesellschaft würde sich dramatisch ändern und die Kinos würden dann wohl keine Liebesfilme mehr zeigen.

Kolumne von Christian Weber

Das Erwachen fühlte sich so an, als hätte jemand nur kurz eine Pause-Taste in ihrem Bewusstsein gedrückt. Noch bevor Maura ihre neuen Augen öffnete, konnte sie sich schon wieder an die letzten Augenblicke ihres alten Lebens erinnern. Wie sie in den Operationssaal geschoben wurde, wie der Narkosearzt ihr einen guten Wechsel gewünscht hatte, und wie das Sedativum dann angefangen hatte zu wirken. Ihr war angekündigt worden, dass es wohl ein paar Stunden brauchen werde, bis sie sich in ihrem neuen Körper wohl fühlte. Aber als sie nach ein paar Minuten zum ersten Mal ihren bionischen Arm hob, kam ihr der fast schon vertraut vor. An das leise Zischen der Hydraulik würde sie sich sicher schnell gewöhnen. Die Beine aber gehorchten ihr noch nicht so gut. Der erste Schritt misslang gründlich und Maura war schon auf den Sturz gefasst, als die Automatik ihres Roboter-Avatars für einen Sekundenbruchteil die Kontrolle übernahm.

Drei Wochen hatte es gedauert, bis ihr Gedächtnis ausgelesen und in einen Computer überspielt worden war. Sobald das Betäubungsmittel wirkte, spülten die Neuro-Konservatoren den Körper der 35-jährigen Anlageberaterin zuerst mit einem Fixiermittel, das war das Ende ihrer biologischen Existenz. Für den Scanvorgang legte dann ein Chirurgenteam Gehirn samt Rückenmark frei und schob beides in eine Maschine. Die hobelte das Organ mit einer Diamantklinge in hauchfeine Scheiben und scannte diese per Elektronenmikroskop. Im Computer wurde Mauras Gehirn dann Neuron für Neuron digital rekonstruiert. Dort lebte es nun in elektronischen Schaltkreisen weiter.

In der Werbebroschüre stand, der erste Moment der Unsterblichkeit würde sich in etwa so anfühlen, als erwache man aus einer Vollnarkose. Diese Beschreibung fand Maura passend. Ihren Roboter-Avatar hatte sie sorgfältig ausgesucht, ein teures Modell an dem kein Extra fehlte. Sie konnte auf Wunsch die Augenfarbe wechseln und hatte auch nicht auf Beine verzichtet, auf denen sie in einer Viertelstunde von Garmisch-Partenkirchen bis zum Gipfel der Zugspitze sprinten konnte.

Das Bewusstseins-Backup war natürlich nicht ganz billig. Manche verzichteten deshalb auf den Körper und nahmen nur über das Internet und Lautsprecher mit dem Rest der Welt Kontakt auf. Auch Maura war klar, dass sie ihren Ersatzkörper kaum benutzen würde, denn mit ihren Freunden und Kunden konnte sie sich per Neural-Link treffen. Sie schob es auf ihre konservative Erziehung, dass sie trotzdem noch einen Stellvertreter in der realen Welt haben wollte. Das Interesse an Menschen aus Fleisch und Blut war ihr ohnehin gründlich vergangen. Sie wollte sich nicht mehr mit Dingen abmühen wie essen, atmen, schlafen, streiten - oder lieben. Nein, sie hatte ihr Selbst nicht digitalisieren lassen, weil sie an einer unheilbaren Krankheit litt oder unsterblich werden wollte. Den Anstoß hatte eine unerfreuliche Romanze gegeben, deren Ende ihr auch körperlich zusetzte. Zudem litt sie unter Konzentrationsstörungen. Doch all diese Probleme waren nun vorbei.

Sie hatte Glück gehabt, denn fast wäre das Hirnupload-Business gleich am Anfang gescheitert, als sich zeigte, dass die Ich-Simulationen gefühlskalt wirkten. Programmierer versuchten, das Problem per Software zu beheben, aber die Elektronenhirne wurden nur noch unheimlicher. Bioethiker protestierten zudem so heftig gegen diese Form des Neuro-Editings, dass man sie zunächst per Gesetz verbot.

Für Maura war der Gefühlsverlust beabsichtigt. Die meisten ihrer Bekannten hatten es auch schon getan und sagten, sie kämen jetzt besser durchs Leben. Und wenn sie doch mal wieder die Kontrolle verlieren wollten, dann besorgten sie sich auf dem Schwarzmarkt Programme, die vorübergehend für ein paar interessante Halluzinationen sorgten.

Am Anfang erschien Maura ihr neues Leben wie ein Rausch. Sie konnte das Gesamtwerk aller deutschen Philosophen in wenigen Sekunden abspeichern; und wenn sie sich mit anderen Gehirnen vernetzte, genauso schnell verstehen. Nachdem sie auch alle Ökonomen und Physiker verarbeitet hatte, wurde ihr allerdings ein bisschen langweilig. Immerhin, der Sex mit anderen Hirnsimulationen blieb phänomenal.

© SZ vom 13.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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