Im Nachhinein wirkt alles ganz einfach. Es ist Sonntagmorgen, sechs Uhr, Maite Nkoane-Mashabane kann wieder lächeln. "Irgendjemand hat mich vor kurzem gefragt: Was ist eigentlich Ihr Plan B", sagt Südafrikas Außenministerin. "Diese Frage habe ich gar nicht verstanden. Wir kamen mit Plan A, und wir gehen mit Plan A." Ganz klar: Madam Minister übertreibt ein wenig. In Wirklichkeit war Plan B stundenlang mindestens so wahrscheinlich wie Plan A.
Plan B, das wäre das Scheitern des Klimagipfels in Durban gewesen, zumindest vorläufig. Unfähig zu einer Entscheidung, hätte die Konferenz die Uhr anhalten können. Sie hätte die Verhandlungen im Sommer in Bonn fortsetzen können, wie schon einmal zuvor im Jahr 2001. Dann wäre aus Mashabanes Plan A erst einmal nichts geworden: dem schönen "Durban-Package", samt Einstieg in ein neues Klimaabkommen.
Immer wieder liegt in diesen letzten 48 Stunden das Scheitern in der Luft. Am frühen Samstagmorgen, die Konferenz ist schon zwölf Stunden über die Zeit, kommen in der Tiefgarage des Kongresszentrums die europäischen Minister zusammen. Umgeben von Schranken und Vorfahrtsschildern ist hier ein provisorisches Delegationsbüro zusammengezimmert. Die Europäer wollen jetzt wissen, wie es weitergeht: alles oder nichts.
Bereit für den Showdown: die Europäer
Es zählt zu den Besonderheiten dieser Konferenz, dass Europa sich in einer besonders starken Rolle wiederfindet. Weil Japan, Kanada und Russland aus den Verpflichtungen des Kyoto-Protokolls aussteigen wollen, bleiben im Wesentlichen nur noch die EU-Staaten über. Wer immer eine Verlängerung des Kyoto-Protokolls will, kommt um die Europäer nicht herum. Die Chinesen verlangen das, auch viele Entwicklungsländer. Schließlich ist es das einzige Klimaabkommen, auf das halbwegs Verlass ist.
An diesem Samstagmorgen sind die Europäer zu allem bereit. Einige Umweltminister, darunter auch Norbert Röttgen, plädieren für den harten Kurs. Wenn die EU sich schon auf eine Verlängerung des Kyoto-Protokolls einlässt, dann will sie dafür auch ein greifbares Entgegenkommen der anderen Staaten: ein rechtlich verbindliches Abkommen, auszuhandeln bis 2015, in Kraft möglichst 2018. Es ist diese Bereitschaft zum Showdown, die Europa im Laufe der nächsten Nacht zum heimlichen Sieger der Konferenz macht. "Je mehr Druck wir ausgeübt haben, desto mehr hat sich bewegt", sagt EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard am Sonntagmorgen. Und nach 48 Stunden Verhandlungen wirkt sie, als wollte sie gleich Sportschuhe auspacken und noch eine Runde am Meer joggen. "Wir wollten mehr, und es hat funktioniert", sagt sie.
Das sagt sich leicht nach dieser Nacht. Dabei war die Katastrophe schon unterwegs gewesen, in Gestalt der indischen Umweltministerin Jayanthi Natarajan. Die bewegt auf dieser Konferenz nur eine Frage: Wie kann Indien jeglichen Verpflichtungen entgehen? Schließlich seien die Pro-Kopf-Emissionen eines Inders wesentlich geringer als etwa die eines Chinesen. Es sei ein Gebot der Gerechtigkeit, Indien nicht zusätzlich mit Klimaschutz-Auflagen zu belasten, sagt die Ministerin. Auch ein rechtlich verbindlicher Vertrag schmeckt ihr nicht. Und so verhandelt sie noch am Samstag eine Variante in den Durban-Text, die alle Verbindlichkeit zunichtemachen würde. Danach könnte ein Abkommen auch die Form einer "rechtlichen Übereinkunft" annehmen. Was immer sich dahinter verbergen mag: Darauf wäre kaum Verlass.
Um ein Uhr in der Nacht beginnen die Verhandlungen, und EU-Klimakommissarin Hedegaard geht aufs Ganze. "Wir sind hier kurz davor, mehr zu bekommen", sagt sie. "Und wir denken nicht, dass wir zu viel von der Welt verlangen." Ein künftiges Abkommen müsse mindestens die Form eines "Protokolls" oder eines "rechtlichen Instruments" haben, sonst sei es völkerrechtlich nicht genügend verbindlich. Indien hält dagegen. Natarajan holt lange aus, redet über die Ungerechtigkeit, die Indien durch den Klimawandel widerfährt. Dann kommt sie auf die rechtliche Form zu sprechen. "Was ist denn so schwer daran, an dieser Option festzuhalten", ruft sie. "Was ist daran ein Verbrechen?"
Es ist, in den frühen Morgenstunden des Sonntags, der Zeitpunkt, an dem Plan B am nächsten ist. Die Welt teilt sich: Afrikanische Länder, kleine Inselstaaten, Bangladesch stellen sich auf die Seite der Europäer. China, Brasilien und die USA teilen Indiens Position. Um halb drei Uhr morgens gibt Nkoane-Mashabane Indern und Europäern zehn Minuten Zeit, einen Kompromiss zu suchen. Nicht irgendwo im Hinterzimmer, sondern mitten im Plenarsaal. "Bitte verlassen Sie nicht den Raum", mahnt Südafrikas Außenministerin. Hedegaard setzt sich zu Natarajan, die beiden verhandeln. Nach einer halben Stunde verlassen die Europäer kurz den Saal, danach ist klar: Indiens Vorschlag ist vom Tisch. Aus der "rechtlichen Übereinkunft" wird eine "verhandelte Übereinkunft mit Rechtskraft" - eine deutlich stärkere Formulierung, wie Juristen später erklären. So öffnet sich der Weg für das Durban-Package, keiner stimmt mehr dagegen: die USA nicht, China nicht, Brasilien nicht.
Lauter Fragen für die nächste Klimakonferenz
Nur der russische Delegierte will sich nicht damit anfreunden, er scheint beleidigt zu sein. Er müsse seiner Regierung schließlich darlegen, welcher Einigung er zugestimmt habe, verkündet er gegen vier Uhr am Morgen. "Das ist ein ungewöhnliches Vorgehen", sagt er. "Ich erwarte weitere Konsultationen." Und, ach ja, in zwei Stunden gehe dann auch sein Flugzeug. Für einen Moment hält die Versammlung die Luft an. Dann erklärt Nkoana-Mashabane noch einmal ganz ruhig, wie genau der Kompromiss aussieht. Damit ist Moskau zufrieden.
Für inhaltliche Debatten, etwa über die genauen Ziele der Staaten im Klimaschutz, bleibt bei so viel Taktik in dieser Nacht gar keine Zeit mehr. Stattdessen hinterlässt diese Konferenz auch ein 19-seitiges Papier mit lauter Fragen, zu behandeln spätestens bei der nächsten Klimakonferenz, im nächsten Winter im Wüstenemirat Katar. In Plan A war für inhaltliche Fragen diesmal einfach kein Platz mehr.