Verhaltensforschung:Kirsche bevorzugt

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Ein Orang-Utan kann vorausahnen, wie ihm etwas schmecken wird, ohne es vorher probiert zu haben - allein aufgrund früherer Erfahrungen.

Von Hanno Charisius

Orang-Utans entwickeln eine gewisse Erwartungshaltung, wenn sie ein Getränk in einer Flasche betrachten, dessen Geschmack sie aber noch nie gekostet haben. Über diese Fähigkeit staunten schwedische Kognitionsforscher, die den 21 Jahre alten Sumatra-Orang-Utan Naong in ein Experiment einbezogen hatten. Vor seinen Augen mischten sie zwei von drei verschiedenen Säften, deren Einzelgeschmack der Proband kannte und mehr oder weniger schätzte. Der Menschenaffe suchte sich daraufhin das Getränk aus, das ihm vermutlich besser schmecken würde.

Bei diesem einfach erscheinenden Experiment muss der Versuchsteilnehmer erstaunliche geistige Fähigkeiten mitbringen: Er muss vorausahnen, wie ihm etwas schmecken wird, ohne es vorher probiert zu haben - allein aufgrund früher gemachter Erfahrungen. "Affektive Vorhersagen" nennen die Forscher diese Gabe, die man bislang nur bei Menschen gefunden hat. Naong hatte vor dem Experiment Kirsch-, Rhabarber und Zitronensaft sowie verdünnten Apfelessig zu kosten bekommen und konnte die Flüssigkeiten anhand ihrer Farben auseinanderhalten. Präsentierten ihm die Forscher Kirsch-, Rhabarber- und Zitronensaft, suchte sich Naong seinen klaren Favoriten Kirsch aus. Mischten die Testleiter Zitrone zum Kirschsaft hinzu, schwenkte Naong auf Rhabarber um. Dabei hatte er die Zitrone-Kirsch-Kombination zuvor noch nie probiert. Gleiches Bild bei Essig-Kirsch.

Im Fachjournal Animal Cognition legt das Team von der Universität Lund alle Entscheidungen des Orang-Utans dar. Der Menschenaffe passe mit seinem Entscheidungsmuster in die Bandbreite menschlicher Verhaltensweisen, schreiben die Wissenschaftler. Die Fähigkeit zu affektiven Vorhersagen erspart es einem, Dinge in unbekannten Situationen auszuprobieren. Man bezieht seine früheren Erfahrungen mit ein und trifft auf dieser Basis eine Entscheidung. Das erspart Enttäuschungen und zudem müssen keine unnötigen Risiken eingegangen werden.

© SZ vom 12.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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