Verbesserte Menschen:Die vielleicht gefährlichste Idee der Welt

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Transhumanisten wollen die Fähigkeiten ihres Körpers erweitern, so wie es Tony Stark (Robert Downey Jr.) in dem Film "Iron Man 3" gelingt (Foto: Paramount Pictures)

Intelligenter, gesünder, stärker und immer glücklich - Transhumanisten wollen die Grenzen der Biologie einreißen und den Menschen mit allen verfügbaren Mitteln optimieren. Eine gruselige Vorstellung.

Von Boris Hänßler

Derzeit leben etwa sieben Milliarden Menschen auf der Erde. Wenn die Bevölkerung weiter wächst, werden die Ressourcen knapp und es kommt zum Kollaps. Das jedenfalls ist der Ausgangspunkt von Dan Browns Roman "Inferno". Der Biotechnologe Bertrand Zobrist schafft es darin, ein sich rasch verbreitendes Virus zu entwickeln, das jeden dritten Menschen unfruchtbar macht.

Die Menschheit gewinnt Zeit, sich mithilfe von Biotechnologie und Robotik zu intelligenteren und robusteren Wesen weiterzuentwickeln - einer posthumanen Spezies. Zobrist bekennt sich zum sogenannten Transhumanismus. Und diese Denkrichtung ist keine Erfindung von Dan Brown, es gibt sie wirklich. Manche Wissenschaftler halten sie für die gefährlichste Idee der Welt.

Transhumanisten sehen sich in der Tradition des Humanismus und der Aufklärung. Sie fördern alle Wissenschaften, die den Menschen klüger, gesünder, glücklicher und stärker machen können: Genomik, Neurowissenschaft, Robotik, Nanotechnologie und künstliche Intelligenz. Die Neurowissenschaft etwa soll Wege finden, gezielt mentale Zustände zu erzeugen, eine Art Glück auf Knopfdruck.

Der Transhumanist Aubrey de Grey beschreibt das Altern als schlimme Krankheit, weshalb mehr Geld in die Erforschung lebensverlängernder Technologien fließen sollte. Ray Kurzweil prognostiziert, dass in 20 bis 30 Jahren das menschliche Gehirn eingescannt, auf einen Computer hochgeladen und simuliert werden könne. Der Geist würde als Software weiterleben, vom biologischen Verfall befreit.

Menschen haben in der transhumanistischen Denkweise die moralische Pflicht, ihr Erbgut so zu verändern, dass künftige Generationen über einen leistungsfähigeren, weniger krankheitsanfälligen Körper verfügen. Während die natürliche Evolution Jahrtausende in Anspruch nimmt, wollen Transhumanisten mit all diesen Methoden innerhalb der kommenden Jahrzehnte den neuen Menschen schaffen.

Der Begriff Transhumanismus ist nicht neu. Er wurde bereits in den 1930er-Jahren von dem britischen Biologen Julian Huxley geprägt. Huxley sehnte sich nach einer neuen Gesellschaft, in der Menschen ihr Potenzial vollständig entwickelt haben. Diese Menschen der Zukunft würden sich von denen heute so unterscheiden wie wir von Menschenaffen. Huxley befürwortete die Eugenik, die Züchtung besserer Menschen. Es war die Idee, die von den Nationalsozialisten pervertiert wurde - durch Zwangssterilisationen, erzwungene Abtreibungen und der "Vernichtung lebensunwerten Lebens". Damit waren die Ideen des Transhumanismus zunächst in Verruf geraten. Erst in den 1960er- und 1970er-Jahren machten sich Science-Fiction-Autoren wieder vermehrt Gedanken über eine posthumane Zukunft.

Der bereits verstorbene iranisch-amerikanische Philosoph und Schriftsteller Fereidoun M. Esfandiary nannte sich in " FM 2030" um - seine Initialen sowie das Jahr seines 100. Geburtstags. Er wollte damit unterstreichen, dass er mit Hilfe moderner Technik mindestens 100 Jahre alt werden könnte. Marvin Minsky, ein Pionier in der Erforschung der künstlichen Intelligenz, stellte in den 1980er-Jahren die Theorie auf, dass unsere Intelligenz lediglich das Produkt eines neuronalen Netzwerkes sei. Die Einzelelemente, die Minsky "Agenten" nannte, seien nicht intelligent - nur ihr Zusammenwirken mache unseren Verstand aus. Futuristen um Ray Kurzweil entwickelten daraus die Idee der Singularität. Demnach ist es möglich, irgendwann den menschlichen Geist vollständig auf einem Computer zu simulieren.

In den USA gibt es zahlreiche Institute wie Foresight Institute, Humanity+, Extropy Institute, Singularity Institute ( Machine Intelligence Research Institute), die Publikationen herausgeben, Tagungen und Forschungsprojekte im Sinne des Transhumanismus fördern. Viele Anhänger der Idee experimentieren gar mit ihrem eigenen Körper: Sie nutzen Psychopharmaka, Anti-Aging-Therapien oder legen sich unter das Skalpell des Chirurgen.

Der 65-jährige Ray Kurzweil behauptet von sich, täglich 250 Nahrungsergänzungsmittel zu schlucken. Er habe damit einen Körper, der sich biologisch auf dem Stand eines 40-Jährigen befinde. Transhumanisten würden noch viel mehr mit sich machen, wenn sie es dürften. "Für die Vision des Transhumanismus ist nicht der Stand der Technik ein Problem", sagt Natasha Vita-More, Vorsitzende von Humanity+. "Das Problem ist die Verteilung - wir möchten, dass jeder Mensch Zugriff auf alle technologischen Möglichkeiten hat, die seine Fähigkeiten verbessern könnten - ohne staatliche Regulierungen."

Genau darin sieht der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama das Problem. "Die Idee der Gleichheit des Menschen vor dem Recht setzt voraus, dass wir als Menschen etwas gemeinsam haben, das unabhängig von Hautfarbe, Schönheit oder Intelligenz existiert." Würden wir diese Essenz des Menschseins aufgeben, würde unsere Gesellschaft nicht funktionieren. Es war Fukuyama, der den Transhumanismus als die gefährlichste Ideologie der Welt bezeichnete.

Vita-More hält dies für Blödsinn. "Wir unterwerfen uns im Westen bestimmten Normen", sagt sie. "Wir sollten die Diversität fördern und es ermöglichen, dass manche Menschen sich weiterentwickeln möchten, andere nicht." Technologien, deren Folgen man nicht abschätzen kann, sollten trotzdem angewandt werden - nur so ließen sich rasch Fortschritte erzielen. Wichtig sei, dass man den Menschen die Entscheidungsfreiheit überlasse.

Reinhard Heil vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse am Karlsruher Institut für Technologie bleibt skeptisch, er hält diese Freiheit für eine Pseudo-Freiheit. "Es ist paradox, dass Transhumanisten einerseits eine moralische Pflicht sehen, die von ihnen geförderte Technologien einzusetzen, andererseits aber von Wahlfreiheit sprechen." Es könnte ein gesellschaftlicher Druck entstehen, der es schwierig mache, sich den technologischen Möglichkeiten zu entziehen.

In Deutschland tun sich die Transhumanisten schwer, Anhänger zu finden. Es gibt eine Deutsche Gesellschaft für Transhumanismus ("De:Trans"), doch in der öffentlichen Debatte um neue Technologien findet sie bislang kaum Beachtung. Natasha Vita-More erklärt sich die Zurückhaltung der Deutschen mit den Erfahrungen des Nationalsozialismus. "Wir sollten uns aber nicht von den Fehlern der Vergangenheit leiten lassen."

Allerdings gibt es auch in den USA Kritiker. Hava Tirosh-Samuelson etwa, Philosophin für jüdische Studien der Arizona State University, hält wenig von der Idee, durch chemische Substanzen Stimmungen zu kontrollieren. Das Glück werde unter dem Einfluss der Gehirnforschung strikt materialistisch betrachtet. Das menschliche Gehirn sei mehr als ein Rechner: ein Teil eines hochkomplexen und integrierten Organismus, zu dem auch das Nerven- und Immunsystem gehören, aber auch der soziokulturelle Kontext. "Glücklichsein darf nicht auf die Funktionen des Körpers reduziert werden." Zum Glück gehörten negative Gedanken, zu einem erfüllten Leben gehörte auch das Wissen um die Sterblichkeit.

Don Ihde, Philosoph an der Stony Brook Universität in New York, unterstellt den Transhumanisten einen Hang zum Extremen: "Brauchen wir mehr Muskelkraft? Größere Brüste, vollere Lippen, straffere Hintern? Einen größeren Penis und bessere Erektionen?" Diese Bedürfnisse hätten bereits dazu geführt, das die Gesellschaft den Beruf des Arztes neu definiere. Ihde vergleicht den Transhumanismus mit dem Glauben an Magie - weil Magie, anders als die gegenwärtigen Chemikalien und Technologien, nicht zu unbeabsichtigten Nebenwirkungen führe. Im Transhumanismus aber seien nur paradiesische Ergebnisse vorgesehen.

© SZ vom 08.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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