Umweltschutz-Projekt:Kochsendung auf madagassisch

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In Lambokely gibt es keinen Strom. Ein Sohn des Dorfvorstehers fährt ein umgebautes Trimmrad und erzeugt Energie für den Projektor. (Foto: oh)
  • 80 Prozent seiner Wälder hat Madagaskar bereits verloren. Die Folge ist Erosion, auch der Wasserhaushalt der Ökosysteme gerät durcheinander.
  • Deshalb touren Biologen mit einem fahrradbetriebenen Kino durch das Land. In abgelegenen Dörfern erklären sie Umweltprobleme - und bewerben effiziente Öfen.
  • Die Idee für das mobile Kino stammt von Matthias Markolf, Biologe und Mitbegründer des Göttinger Naturschutzvereins Chances for Nature.

Von Lennart Pyritz

Das Kino von Lambokely verfügt über drei Sitzplätze. Einer davon, ein weißer Plastikstuhl, bleibt dem Dorfpräsidenten Zafimamy vorbehalten. Die beiden anderen Sitzgelegenheiten haben sich zwei Jugendlich gesichert, sie kippeln auf zwei gelben Plastikkanistern. Die übrigen Zuschauer sitzen auf dem Erdboden oder stehen im Halbkreis vor der Leinwand.

Popcorn gibt es nicht, nur einem Kampfhahn werden Maiskörner in den Schnabel gestopft. Einige Dorfbewohner sind kurz vor Sonnenuntergang mit dem Zebu-Karren angereist. Manchmal schnauben die Buckelrinder hinter den Zuschauern leise in der Dunkelheit. Spannung liegt in der Luft. Eine Kinovorführung, das gab es noch nie in Lambokely.

"Kleines Wildschwein" bedeutet der Name des Ortes. "Weil es hier von den Tieren einige gab, früher", sagt Zafimamy. Die Holzhütten des Dorfes liegen über mehrere Kilometer verstreut in einer sandigen Ebene. Der Wald ist abgeholzt, bis zum Horizont. Nur vereinzelt ragen verkohlte Baumstämme in den Himmel. Lambokely liegt in einer abgelegenen Region an der Westküste Madagaskars.

Die Erde hier ist ziegelsteinfarben. Es ist Trockenzeit, die meisten Pflanzen haben ihre Blätter abgeworfen und sind von rotem Staub überzogen. Strom gibt es nicht im Dorf. 2500 Menschen leben hier, etwa 40 sind gekommen, um die Filmvorführung zu sehen.

Wenn es so weiter geht, sind in 40 Jahren alle Wälder Madagaskars verloren

Die madagassische Biologin Domoina Rabarivelo koordiniert das Kino-Projekt. Sie hat vor einigen Tagen das Einverständnis des Dorfpräsidenten eingeholt. Gemeinsam mit zwei Helfern hat sie die Leinwand an der Seite einer Holzhütte aufgespannt. Drei Meter davor steht eine bierkastengroße Box mit Beamer und Lautsprecher.

Strom liefert ein Generator, angetrieben durch Beinarbeit auf einem grünen Trimmrad ohne Lenker. Ein Sohn des Dorfvorstehers Zafimamy - sportlich gekleidet mit Baseballkappe, Jeans und T-Shirt der Fußball-WM 2014 - meldet sich freiwillig. Als er mit verschränkten Armen in die Pedale tritt, erfüllt madagassische Musik die Nacht, und auf der Leinwand flimmern erste, zitternde Bilder.

Die Idee für das mobile Kino stammt von Matthias Markolf, Biologe und Mitbegründer des Göttinger Naturschutzvereins Chances for Nature. Er will die Dorfbewohner für ihre Umwelt sensibilisieren. "Die meisten Madagassen wissen leider nicht, welche Schätze die Insel beherbergt", sagt er. "Die wollen wir den Menschen zeigen. Und alternative Lebensweisen vorstellen, die den Menschen selbst helfen und gleichzeitig die Umwelt schonen."

Dafür hat der Verein den halbstündigen Dokumentarfilm gedreht, der jetzt in Lambokely läuft. Auf Madagassisch. Keine Selbstverständlichkeit auf der Insel, obwohl in kleineren Dörfern oft niemand die zweite Amtssprache Französisch spricht.

Zuerst erscheinen Bilder von Tieren und Wäldern auf der Leinwand, Baobabs, Chamäleons und Lemuren. Es folgen Sequenzen abgeholzter Ebenen, verbrannter Landschaften, zerstörter Natur. Ein Raunen geht durch Lambokely. Dann berichten Dorfbewohner in Interviews über effiziente und umweltfreundliche Methoden, die sie in ihren Alltag integriert haben: eine spezielle Form des Reisanbaus. Nachhaltige Fischzucht in den überschwemmten Reisfeldern. Und ökologische Öfen.

Im Film hockt eine Frau in einer Werkstatt, vor sich zwei Ofenmodelle: ein traditionelles aus Blech und ein blau lackiertes mit dickem Tonmantel. Vor den Modellen häuft sie Kohle auf. Der Berg vor dem traditionellen Ofen ist etwa drei Mal so groß wie vor dem neuen. "So viel Kohle spart ihr bei einem Mal Kochen mit dem ökologischen Ofen", sagt sie in die Kamera.

Eine traditionelle Kochstelle in Lambokely und weiten Teilen Madagaskars besteht aus drei Steinen, auf die ein Topf gestellt wird, oder einem Ofen mit einer ein bis zwei Millimeter dünnen Blechwand. "Der Effekt ist, dass die meiste Energie einfach verpufft", sagt Markolf. "Das Prinzip der ökologischen Öfen ist eigentlich immer gleich: Man baut eine Hülle aus Tonerde, damit die Hitze nicht so schnell entweicht." Bis zu zwei Drittel Holz oder Kohle weniger sollen die Modelle dadurch verbrauchen.

Das fahrradbetriebene Kino hat Markolf in England entdeckt

Das Erdgemisch, aus dem der Ofenmantel gebrannt wird, stammt aus der unmittelbaren Umgebung der Dörfer. Der Mantel wird mit einer dünnen Außenhülle aus Metall umschlossen. Als Kitt dient Zement. Die Bauweise ist günstig: 5000 Ariary kostet ein Modell - knapp zwei Euro. Für die meisten madagassischen Familien ein erschwinglicher Preis.

Für seine Doktorarbeit ist Markolf in den vergangenen Jahren in viele abgelegene Regionen Madagaskars gereist. Dabei musste er immer wieder sehen, wie die lokale Bevölkerung die Natur zerstört. "Die Menschen müssen ihren Lebensunterhalt verdienen", sagt Markolf. Kleinbauern brennen Wälder für Acker- und Weideflächen ab, schlagen Holz zur Kohleproduktion und als Brenn- und Baumaterial. Die Menschen jagen bedrohte Tiere, weil sie etwas zu essen brauchen. "Das ist illegal, und das wissen die meisten auch. Sie wissen aber oft nicht, warum es verboten ist."

Besonders in armen ländlichen Regionen könnten nachhaltige Methoden auf dem Feld und in der Küche den Menschen helfen, sich zu ernähren - und gleichzeitig Geld sparen und die Entwaldung drosseln. Dazu müssen die Naturschützer aber auch abgelegene Dörfer ohne Strom erreichen. Das fahrradbetriebene Kino hat Markolf in England entdeckt: Der Fahrradgenerator mitsamt Technik, die sich schnell aufbauen und leicht transportieren lässt, stammt von eine Firma aus Großbritannien.

Nach Angaben des World Wide Fund for Nature (WWF) hat Madagaskar bereits 80 Prozent seiner natürlichen Waldfläche verloren. Die Folge ist Erosion, auch der Wasserhaushalt der empfindlichen Ökosysteme gerät durcheinander. Geht die Abholzung mit derselben Geschwindigkeit weiter wie in den vergangenen Jahren, sind die letzten Wälder in etwa 40 Jahren verschwunden, warnt die internationale Naturschutzorganisation.

Ein Großteil der madagassischen Arten - mehr als 90 Prozent der Säugetiere, Reptilien und Pflanzen - lebt ausschließlich auf der Insel im Indischen Ozean. Sterben sie in Madagaskar aus, sind sie unwiederbringlich verloren.

Die sparsamen Lehmöfen werden direkt vor Ort hergestellt. (Foto: oh)

"Wir wollen nicht nur vermitteln ,So könnt ihr nicht weitermachen'", sagt Markolf. "Wir wollen den Menschen Alternativen zeigen." Parallel zu den Filmvorführungen konnten die Bewohner in einem vierwöchigen Workshop in der Nähe von Lambokely lernen, selbst effizientere Öfen zu bauen. Markolf konzentrierte sich auf die ökologischen Öfen, um das Interesse der Dorfbewohner zu gewinnen.

"Nach einem Mal Kochen sehen die Menschen, welchen Unterschied die Öfen machen, wie viel Holz und Geld sie sparen. Der Effekt ist unmittelbar." Bei vielen agrarwissenschaftlichen Methoden dauere es mehr als ein Jahr, bis erste Ergebnisse da seien. Das macht es für Naturschützer schwieriger, die Menschen zu überzeugen.

An der Entwicklung solcher Öfen arbeiten in Madagaskar bereits seit Jahren mehrere Umweltschutzorganisationen. Manche senken den Brennstoffverbrauch durch Belüftungsrohre, in anderen glimmt ökologischer Brennstoff aus Asche, Zebu-Kot und Reisspelzen. Die mit dem Umweltkino präsentierte Konstruktion hat die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) entwickelt.

Das Projekt ist erfolgreich, aber es erfordert Fingerspitzengefühl

"Effizientere Kochöfen sind bei uns eine Komponente im Rahmen der Wertschöpfungskette Holzenergie, also von der Pflanzung des Baumes über die Holzkohleherstellung bis hin zur Nutzung in der Küche", sagt Alan Walsch, seit 22 Jahren Mitarbeiter der GIZ und seit einem Jahr deren Landesdirektor in Madagaskar. "Wir wollen die Produktion der Öfen jetzt noch ausweiten. Die ursprüngliche Menge hat den Bedarf nicht gedeckt."

Das Projekt ist erfolgreich, aber es erfordert Fingerspitzengefühl. "Etwa bei den Frauen, die den Reis nach einer bestimmten Art und Dauer kochen. Der muss dann auch immer gleich schmecken. Das ist nicht immer gewährleistet, je nach Ofen, den man nutzt. Wir können das oft gar nicht nachvollziehen, aber das muss man respektieren", sagt Walsch.

"Bislang haben die Zuschauer meist positiv auf das mobile Kino reagiert", sagt Markolf. Und gerade die ökologischen Öfen stießen auf Interesse. Auch der Workshop in Beroboka war gut besucht. In Kirindy Village verlangten die Dorfbewohner allerdings Geld, um das Fahrrad für die Stromerzeugung zu bedienen. Im kommenden Jahr wollen die Umweltschützer die Dörfer erneut besuchen, um festzustellen, wie viele der effizienteren Öfen noch in den Küchen genutzt werden.

Sie hoffen zudem, dass weitere Dorfbewohner die Idee übernommen haben - Werkzeuge zur Herstellung der Öfen wurden nach dem Workshop in den Dörfern deponiert. Darunter auch Metallschablonen zum Ausstanzen der Ofenmäntel aus dem Erdgemisch. "Langfristig setzen wir darauf, dass die Menschen mit der Produktion dieser Öfen Geld verdienen können und sich die Idee von selbst ausbreitet."

In Lambokely geht der Film zu Ende. Bereits beim Abspann leert sich der Platz. Als Zafimamys Sohn aufhört, in die Pedale zu treten, erlischt das Licht auf der weißen Leinwand. "Der Film war sehr interessant, weil er uns etwas über die Nutzung des Waldes beibringt. Und all das betrifft unser Leben: der Wald, die Tiere und die Umweltzerstörung", sagt Zafimamy mit leiser Stimme.

Dann zieht auch er sich zurück. Zuletzt rumpelt der Zebu-Karren in einer Staubwolke davon, Lambokely liegt im Dunkeln. Nur in den Hütten glimmen die Herdfeuer, und der Geruch von Holzkohle zieht durch die Luft.

© SZ vom 23.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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