Umweltdesaster in Ungarn:Der Stoff, aus dem Albträume sind

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Zerstörerischer Industrie-Abfall: Umweltschützer befürchten, dass der Rotschlamm aus einer Aluminiumfabrik bald die Donau erreicht - und ganze Landschaften langfristig zerstört.

Christopher Schrader

Aluminium ist ein begehrter Rohstoff, der zum Beispiel im Zeitungsdruck und beim Bau von Autos wichtig ist. Aber das Leichtmetall aus dem Rohstoff Bauxit herzustellen, belastet die Umwelt stark - nicht nur, wenn wie jetzt in Ungarn geschehen, flüssige Produktionsrückstände aus einem Rückhaltebecken geschwemmt werden, Dörfer überfluten und mehrere Menschen umbringen.

Ein zerstörtes Sonnenblumen-Feld bei Somlóvásárhely. Umweltschützer befürchten nach der Giftschlamm-Katastrophe Langzeitschäden für Flora und Fauna. (Foto: dpa)

Um Aluminium aus Bauxit zu gewinnen, wird der Rohstoff zunächst in einer Art Dampfkochtopf mit Natronlauge gekocht. Dabei lösen sich die Aluminiumverbindungen in der Flüssigkeit. Zurück bleibt der sogenannte Rotschlamm, der im Wesentlichen aus Eisenoxid, Titanoxid, Siliziumverbindungen sowie großen Mengen der Natronlauge besteht. Allein von den festen Bestandteilen des Schlamms fällt pro Tonne fertigen Aluminiums je nach Herkunft des Bauxits die doppelte bis vierfache Masse an, hinzu kommen große Mengen Flüssigkeit.

Im Prinzip sind das alles Wertstoffe, die sich bisher allerdings nur teilweise kommerziell nutzen lassen. Besonders die Flüssigkeit wird zurückgewonnen, weil sie große Mengen der Natronlauge enthält, die Aluminiumhütten sonst bezahlen müssten. Der trockene Schlamm hingegen hat zwar viele Anwendungen, zum Beispiel als Material für Ziegel, als Zusatz für Zement oder im Straßenbau, aber der größte Teil wird dennoch meist in Deponien gelagert - mangels Alternative und vielleicht auch in der Hoffnung, in der Zukunft zum Beispiel das enthaltene Titan noch nutzen zu können.

Oft sind deswegen große Haltebecken entstanden, in die Rückstände der Produktion gepumpt werden. Der Schlamm setzt sich dann ab, so dass sich oben die Lauge sammelt, die abgeschöpft werden kann. Ist das Becken aber nach unten nicht dicht, besteht Gefahr für das Grundwasser. Und wenn an einem Rotschlamm-Speicher der Damm bricht, wie jetzt in Ungarn geschehen, fließt ätzende Flüssigkeit heraus.

Sie kann nach Angaben in der Literatur so viel Lauge enthalten, dass noch bei einer fünffachen Verdünnung mit reinem Wasser der pH-Wert bei 14 stehenbleibt, dem oberen Ende der Skala für Säuren und Laugen. Der starke Regen im Westen Ungarns und das Hochwasser genügten also nicht, die Bedrohung schnell zu entschärfen; die Behörden haben darum Tonnen von Gips in die rote Flut gekippt, um den Schlamm zu binden. Etwa 500 Helfer seien bei den Reinigungsarbeiten im Einsatz, teilte eine Sprecherin der Katastrophenschutzbehörde mit. "Wir haben auch schon erste Erfolge, der Alkali-Gehalt im Wasser ist etwas gefallen."

Umweltschützer rechnen dennoch mit Langzeitschäden. "Der Rotschlamm lagert sich ab und verwüstet so landschaftliche Flächen", warnte Zsolt Szegfalvi, der Leiter des Greenpeace-Büros in Ungarn. Der Wind könne den Schlamm in getrocknetem Zustand, also als Staub, bis zu 15 Kilometer weit wehen. Andreas Beckmann vom WWF sagte: "Es ist noch schwer einzuschätzen, was der Unfall für die Umwelt bedeutet. Schwermetalle verschwinden ja nicht über Nacht." Wegen des Wetters sorgen sich die Experten nun auch, dass Rückstände die Donau erreichen könnten. "Es hat in Ungarn sehr stark geregnet. Der Schlamm wird sich also schneller und weiter ausbreiten als normalerweise zu erwarten. Wahrscheinlich ist es unvermeidbar, dass etwas davon in die Donau gerät", so Beckmann.

Industrievertreter in den USA und London erklärten hingegen, richtig gehandhabt sei Rotschlamm ungefährlich. Es sei ein übliches Verfahren, die rote Brühe in Auffangbecken zu leiten, wo sie dann zu einer tonartigen Masse trockne. Tatsächlich haben Experten in etlichen Versuchen erprobt, verseuchte Böden mittels getrocknetem Rotschlamm zu sanieren. So verhinderte der Zusatz zur Erde in einigen Gegenden Bangladeschs, dass Tomatenpflanzen und Weizenähren Zink, Nickel, Kadmium oder Chrom aufnahmen; die Menge an Biomasse nahm dort stark zu. Auch in Österreich und am Harz waren solche Versuche offenbar erfolgreich.

© SZ vom 07.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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