Mit dem Stickstoff, dem chemischen Element N, ist es ein bisschen wie mit dem Kohlendioxid: Ohne N ist alles nichts. Wie CO₂ ist es Grundlage allen Lebens, Stickstoff macht 78 Prozent der Atemluft aus. Und wie das Treibhausgas Kohlendioxid birgt er auch eine ganze Menge Probleme, seit Menschen die Massenproduktion für sich entdeckt haben. "Wie so oft gilt: Die Dosis macht das Gift", sagt Maria Krautzberger, die Chefin des Umweltbundesamtes. Es gibt da eben auch ein ziemliches Problem namens N.
Jetzt schlägt die oberste Umweltbehörde Alarm. In einer Studie untersuchte sie die Auswirkungen des verstärkten Stickstoff-Einsatzes in der Landwirtschaft. Ergebnis: 4,2 Millionen Tonnen sogenannten reaktiven Stickstoffs gelangen allein in Deutschland Jahr für Jahr in den Stickstoffkreislauf, 60 Prozent davon in der Landwirtschaft. Dies aber führe "zu einer Reihe von Problemen, die dringend gelöst werden müssen", heißt es in der Studie, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt.
Die Probleme freilich liegen nicht an dem Stoff an sich, sondern an den Verbindungen, die Menschen daraus haben entstehen lassen. Sie nutzen Stickstoffverbindungen wie Ammoniumnitrat, um Felder damit zu düngen - bis hin zu Gülle, Jauche und Mist, die ihrerseits Stickstoff enthalten. Je Bundesbürger gelangen so jährlich 50 Kilogramm solchen "reaktiven" Stickstoffs in den Stickstoffkreislauf.
Landwirtschaftliche Nährstoffe bedrohen seltene Arten
Nur ein Teil davon findet sich anschließend in der Nahrung wieder. Der Rest gelangt in die Luft oder verbleibt in Böden, wandert in Grundwasser, Flüsse und Meere. Bei der Hälfte aller Pflanzenarten, die wegen ihrer Gefährdung auf der "Roten Liste" gelandet seien, trügen erhöhte Nährstoffeinträge die Verantwortung, heißt es in der Studie. "Je mehr reaktiven Stickstoff wir unseren Ökosystemen zumuten, desto mehr seltene Arten drohen wir zu verlieren", sagt Amtschefin Krautzberger.
Die Nitratbelastung des Grundwassers nahm vielerorts zuletzt wieder zu, und in Nord- und Ostsee zählen Nährstoffe aus der Landwirtschaft nach wie vor zu den größten ökologischen Problemen - neben der Überfischung.
Der Straßenverkehr tut das Seine dazu. In Verbrennungsmotoren, vor allem mit Diesel, entstehen Stickoxide, Kurzformel: "NOx". Stickstoffdioxid gilt als gesundheitsgefährdend, es reizt die Atemwege. Europaweit gilt daher seit 2010 ein Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Doch reihenweise verlangten deutsche Städte und Ballungsräume zuletzt eine Fristverlängerung für die Einhaltung der NOx-Grenze, München ebenso wie Berlin, Hamburg ebenso wie quasi das komplette Ruhrgebiet.
Diesen Mittwoch läuft sie aus. Selbst in Umweltzonen mit ihren schärferen Vorgaben an Fahrzeug-Emissionen ist der Grenzwert offenbar nicht einzuhalten. Zuletzt waren Abgas-Tests des Umwelt-Thinktanks ICCT zu dem Ergebnis gekommen, dass selbst beim neuesten Diesel-Standard Euro 6 die NOx-Emissionen um das siebenfache über dem Grenzwert liegen - und damit auch weit über den jeweiligen Hersteller-Angaben.
Die neue EU-Kommission reagierte auf das Problem unlängst auf ihre Art: Sie schoss eine ursprünglich geplante Verschärfung der Luftreinhalte-Regeln kurzerhand ab. Einen entsprechenden Entwurf hatte noch die alte Kommission erarbeitet, er sollte die Höchstmengen der schädlichen Emissionen senken. Doch auch ein Appell von elf EU-Umweltministern, darunter die Deutsche Barbara Hendricks, konnte an der Entscheidung der Juncker-Kommission (Titel: "Neustart für Wachstum") nichts ändern. Aus Brüssel ist offenbar für die Lösung des N-Problems einstweilen nicht viel zu erwarten.
So wird sich am meisten in der Landwirtschaft erreichen lassen. Schon jetzt gibt es eine Zielmarke für Stickstoff, sie findet sich in den Nachhaltigkeitszielen der Bundesregierung. Schon seit 2010 soll sich der "Stickstoffüberschuss" bei 80 Kilogramm je Hektar eingependelt haben - er misst den Saldo zwischen dem eingesetzten Stickstoff und jenem, der sich schlussendlich in Nahrungsmitteln wiederfindet. Erreicht wurde dieser Wert nie, zuletzt lag er bei 95 Kilo.
Dabei ließe sich durch effizientere, gezieltere Düngung weitaus mehr erreichen, wirbt auch die Studie des Umweltbundesamtes - und schlägt neben einer Verschärfung der Düngeverordnung auch eine neue Zielmarke für das Jahr 2040 vor: maximal 50 Kilogramm je Hektar. Eine Lösung des N-Problems, so schreiben die Autoren, sei "äußerst lohnend". Schließlich würden so "eine Vielzahl von Umweltproblemen gleichzeitig angegangen".