Überfischung und Ökosystem:Jagen im stillen Meer

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Es gibt bald keinen Dorsch mehr: Wissenschaftler warnen, dass die ständige Überfischung zu tiefgreifenden Veränderungen des Ökosystems führen kann.

Gunnar Herrmann

Wenn Stockholms politische Elite nach der Arbeit essen geht, trifft sie sich gerne im "F12". Das noble Lokal neben Reichstag und Staatskanzlei ist für gute Küche bekannt. Dorsch finden die Gäste seit einigen Woche aber nicht mehr auf der Karte. "Aus Umweltschutzgründen" hat Starkoch und F12-Eigentümer Melker Andersson den wichtigsten Speisefisch der Ostsee aus dem Menü gestrichen.

Dorsche werden immer seltener, Heringe immer kleiner, Aale sind vom Aussterben bedroht. (Foto: Foto: dpa)

Mehrere seiner Kollegen taten es ihm gleich. Und lösten heftige Reaktionen aus: Während Umweltschützer den Boykott als Sieg feiern, schimpfen Fischer auf die "Luxuswirte" und sehen sich als Opfer einer populistischen Kampagne. Der Streit um die Speisekarte ist nur Nebenschauplatz einer größeren Debatte.

Ständige Alarmmeldungen vom Meeresgrund - Dorsche werden immer seltener, Heringe immer kleiner, Aale sind vom Aussterben bedroht - haben Forderungen nach schärferer Regulierung des Fischfangs starken Rückhalt in Schweden verschafft. Es gibt eine Unterschriftensammlung für ein Dorsch-Fangverbot im Kattegat.

Ein im Herbst erschienenes Reportagebuch mit dem Titel Stilles Meer, in dem eine Journalistin die Fischereipolitik anprangert, wurde rasch zum Bestseller.

Im Zentrum der Kritik steht nicht nur die Fischindustrie, sondern auch die EU. Über Quoten, Schonzeiten und Fangmethoden entscheiden nämlich die Regierungen der EU-Länder gemeinsam. Beraten werden die Fischereiminister vor ihren Entscheidungen von Wissenschaftlern des Internationalen Meeresforschungsrats (ICES).

Dabei hat es Tradition, dass Europas Politiker die ICES-Ratschläge jedes Jahr aufs Neue ignorieren und höhere Quoten festsetzen als empfohlen. So fordern die Wissenschaftler seit Jahren einen Fangstopp für Dorsch, damit sich die Bestände in Nord- und Ostsee erholen können.

Europas Verbraucher wollen billigen Fisch

Aber die Regierungen lassen ihre Fischer trotzdem weiter Jagd auf den begehrten Speisefisch machen, wenn auch die Fangmenge reduziert wurde. Umweltschützer und Wissenschaftler warnen, dass die ständige Überfischung zu tiefgreifenden Veränderungen des Ökosystems führen kann. Als Anzeichen dafür gilt etwa in der Ostsee die starke Vermehrung der Sprotte, einer Heringsart, die mit jungen Dorschen um Nahrung konkurriert. Verschiebt sich das Gleichgewicht, so die Befürchtung, kann sich der Dorsch nie mehr erholen.

Angesichts der geschrumpften Bestände schlussfolgerte Axel Wenblad, Chef der schwedischen Fischereibehörde, kürzlich in einem Artikel für die Zeitung Dagens Nyheter: "Die Fischereipolitik der EU ist gescheitert." Sie habe ihr Ziel verfehlt, Fischbestände zu erhalten, die langfristig und nachhaltig genutzt werden können.

Wenblad kündigte im gleichen Artikel an, seine Behörde werde deshalb eine Reihe von eigenen Maßnahmen gegen Überfischung vorschlagen. Er nannte nationale Sonderregeln mit längeren Schonzeiten für bedrohte Arten, eine drastische Verkleinerung der schwedischen Fangflotte und Verbote gewisser Fangmethoden.

"Das ist Populismus", empört sich Henrik Svenberg, Sprecher des Verbandes der Berufsfischer, über diese Vorschläge. Wenblad habe wohl nicht begriffen, wie Fischereipolitik in der EU gemacht werde; nämlich gemeinsam. Svenberg sagt allerdings auch: "Wir teilen seine Auffassung, dass die Fischereipolitik der EU nicht funktioniert." Man sei grundsätzlich für weitere Beschränkungen der Fischerei. Aber nur, wenn sie für alle gelten.

Europäische Einigkeit dürfte es in diesem Punkt aber kaum geben. Polens Fischer etwa empfinden schon die derzeitigen Quoten als Zumutung. Was Svenbergs Verband auf jeden Fall verhindern möchte, ist der nun von Behörden und Politikern geforderte Alleingang.

Höhere Auflagen nur in Schweden würden für viele Berufsfischer das Aus bedeuten, sagt Svenberg. Bereits jetzt können viele kaum von ihrem Fang leben. Denn Europas Verbraucher wollen vor allem eine Sorte Fisch: den billigen. Wie die Geschichte vom Dorsch endet, wird also nicht nur in Luxusrestaurants am Stockholmer Reichstag entschieden - sondern auch an den Kühltheken der Discounter.

© SZ vom 30.01.2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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