Strenge Hierarchien in Londoner Gangs:Durst nach Gewalt

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Der Rauch der großen Krawalle hat sich verzogen, in die Londoner Vorstädte kehrt das Tagesgeschäft zurück. Doch die Gangs der britischen Hauptstadt denken gar nicht ans aufhören: Schon gab es wieder erste Morde. Ein neuer Bericht erklärt die Struktur der kriminellen Banden.

Die Feuer sind gelöscht, die Fernsehsender haben ihre Kamerapositionen wieder verlassen, die Politiker sind verstummt. Zwei Wochen nach den vor allem von Jugendbanden ausgelösten Krawallen ist der Alltag in London zurück. Und der sieht nicht immer rosig aus: Am Mittwoch starb ein 14-Jähriger durch einen Messerstich im Norden der Stadt. Am gleichen Tag konnte ein Afghanistan-Soldat einem niedergestochenen Jungen gerade noch das Leben retten - mitten in der belebten Oxford Street, der Haupteinkaufsmeile Londons. Bandenkriminalität ist in der Themse-Metropole Tagesgeschäft.

Gewalt in London: Strenge Hierarchien in Londoner Gangs (Foto: dpa)

Mit dem 14-Jährigen Leroy James aus Enfield starb am Mittwoch der zehnte Teenager in diesem Jahr - und der jüngste. Damit ist 2011 bisher kein besonderes Jahr. 2010 kamen 18 Teenager in zwölf Monaten ums Leben. Die Volljährigen, die bei Bandenkriegen sterben und die Unschuldigen, die in die Schusslinie geraten, zählt Scotland Yard in anderen Statistiken. Die tatsächliche Zahl der Todesopfer durch Bandenkriminalität ist also deutlich höher.

In den USA war das Comeback der Straßengangs der 80er und 90er Jahre schon vor fünf Jahren ein großes Thema. In London hatte man das Problem lange Zeit unter dem Teppich gehalten. "Was Bandenkriminalität angeht, sind wir noch immer nicht aufgewacht", schrieb der frühere Bandenexperte von Scotland Yard, Kevin Hurley, am Freitag in der Zeitung "The Sun". "Unsere kaputte Gesellschaft macht es den Banden leicht, die Macht über unsere Jugend zu bekommen und sich als Vorbilder aufzuspielen."

Wer sind diese jungen Leute?

Wer sind diese jungen Leute, die sich in Gangs organisieren? Was treibt sie? Wie sind die Gruppen organisiert?

Allen Davis, Bandenexperte der Londoner Polizei, und James Densley, Sozialforscher an der Universität von Minnesota (USA), haben jetzt einen fundierten Bericht vorgelegt, den das Fachmagazin "Janes Police Review" in seiner neuen Ausgabe druckt. Ihr Ergebnis: Es sind streng hierarchische Strukturen; es geht um Geld, Drogen, Statussymbole und Sex. Wer sich durch Gewalt oder Geldbeschaffung auszeichnet, klettert auf der Gang-internen Karriereleiter nach oben. Junge Bandenmitglieder dürsten förmlich danach, gewalttätig werden zu können. Oft filmen sie ihre Taten und machen sie dann zum Nachweis über soziale Netzwerk öffentlich. "Je aggressiver ein Angriff ist, desto höher wird er bewertet und mit desto besseren Waffen wird er belohnt", schreiben Davis und Densley in ihrem Bericht, für den sie 69 Mitglieder von 12 der 169 bekannten Londoner Straßengangs interviewt hatten.

Neben strikter Verschwiegenheit ist das Geldverdienen ein weiterer Stützpfeiler im Gerüst der Banden. Gangs verfahren hauptsächlich nach dem Pyramidenprinzip. Das Geld fließt von unten nach oben, in Richtung der höhergestellten Gang-Mitglieder. Belohnungen werden abhängig vom eingegangenen Risiko ausgezahlt. Das Geld wird in Statussymbole investiert: Turnschuhe, Mobiltelefone, TV-Geräte. Damit kann man dann Mädchen imponieren - die in den Hierarchien der Gangs keinerlei Rolle spielen.

Der Londoner Sozialwissenschaftler Gus John war schon in einer Studie vom November vergangenen Jahres zu dem Schluss gekommen, dass 95 Prozent der Bandenmitglieder "männlich und schwarz" sind. Mädchen zu missbrauchen und zum Sex zu nötigen, gilt als erstrebenswert und bringt einen weiter auf der Karriereleiter. "Gangmitglieder habe einen sehr lockere Sichtweise bis hin zur völligen Missachtung, was das Thema Einvernehmlichkeit angeht", heißt es in dem Bericht von Densley und Davis.

Ein großer Teil des Gang-Lebens scheint dagegen recht langweilig zu sein: Eine der Hauptaufgaben der jüngeren "Soldaten" ist es dem Report zufolge, "Streife" zu gehen. Das heißt, durchs Viertel zu streichen und Ausschau nach der Polizei zu halten - und nach den Mitgliedern rivalisierender Banden. Die dürfen keinesfalls die Grenzen des eigenen Territoriums übertreten. Das könnte nach Meinung der Ermittler auch dem 14-Jährigen Leroy James zum Verhängnis geworden sein. "Vielleicht war er einfach zur falschen Zeit an der falschen Adresse."

© Von Michael Donhauser, dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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