Serie: 200 Jahre Darwin (9):Eine Legende im Schlamm

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Ein Archäologe sucht an der Küste von Essex die Überreste eines der bedeutendsten Schiffe der Wissenschaftsgeschichte: das Wrack von Darwins Forschungsschiff "HMS Beagle".

Alexander Menden

Fraglos ist die Küste des südlichen Essex landschaftlich weniger lieblich als die Landstriche landeinwärts. Sie ist in ihrer flachen Urtümlichkeit aber auch faszinierender. Jahrhunderte lang sind die Felder und Weiden zwischen Canewdon, Paglesham und Burnham-on-Crouch dem heranbrausenden Meer zum Trotz bewirtschaftet worden.

Die HMS Beagle vor der Küste von Feuerland. Ein Gemälde von Conrad Martens. (Foto: Bild: oh)

Das Gelände durchzieht ein Netz in die Nordsee führender Wasserwege, deren größter der Fluss Roach ist. Manche von ihnen leeren sich bei Ebbe, so dass schlammigen Fußes von einer kuhbestandenen Weideinsel zur anderen gelangen kann.

Dort will der Archäologe und Schiffahrtshistoriker Robert Prescott von der Universität im schottischen St. Andrews im Matsch die Überreste eines der bedeutendsten Schiffe der Wissenschaftsgeschichte entdeckt haben: der HMS Beagle - des Schiffs, mit dem Charles Darwin von 1831 bis 1836 die Erde umrundet hat.

Die Geschichte dieser Wiederentdeckung beginnt mit einem Misserfolg. 2003 nahm die Mars-Express-Sonde der Europäischen Weltraumorganisation Esa eine Landeeinheit an Bord, die in Großbritannien unter der Leitung des Astronomen Colin Pillinger gebaut worden war. Diese sollte mögliche Lebensformen auf dem Mars aufspüren.

Als es darum ging, einen Namen für dieses Gerät zu finden, kam Pillinger auf die Idee, es Beagle 2 zu nennen. Das war als Hommage an Darwins Expedition gedacht, die ihn letztlich zu seinen Thesen über die Entstehung der Arten anregte. In diesem Zusammenhang fragte sich Pillinger, was eigentlich aus der ursprünglichen Beagle geworden sei.

Ein unwiderstehliches Projekt

In der Annahme, ein Anruf genüge, um das zu klären, kontaktierte Pillinger Robert Prescott, den Mitbegründer und Leiter des Scottish Institute of Maritime Studies. Doch Prescott konnte nicht weiterhelfen. Aus der bisherigen Forschung ging nicht schlüssig hervor, wie genau die Beagle nach 50 Jahren außer Dienst gestellt wurde.

Noch während Prescott forschte, startete Beagle 2 im Juni 2003 ins All. Bei der Landung brach der Kontakt mit der Landeeinheit jedoch ab, das Projekt war gescheitert. "Aber mein Interesse an der ersten Beagle war geweckt", erinnert sich Prescott, der mit seinem weißen Vollbart gut als Kapitän durchginge.

Von Haus aus ist er Biologe, wandte sich aber der Verhaltensforschung und schließlich der Seefahrtsgeschichte und Archäologie zu. Er habe die Entdeckung der Beagle als unwiderstehliches Projekt empfunden, sagt Prescott: "Charles Darwin war einer der größten Intellektuellen der vergangenen zwei Jahrhunderte. Da er selbst sagte, die Zeit auf der Beagle sei die prägendste seiner Karriere gewesen, schien es mir faszinierend, herauszufinden, was aus dem Schiff geworden war."

Die ersten 25 Jahre der Beagle sind gut dokumentiert, allein durch die Briefe, die Charles Darwin auf seinen Reisen verfasste. Die fünf Jahre, die er an Bord verbrachte, stellten ihn vor harte körperliche Prüfungen. Darwin gelang es nie, die Seekrankheit zu bezwingen.

Im Jahre 1870 war die Beagle derart altersschwach, dass sie abgewrackt werden musste. (Foto: Quelle: The Complete Work of Charles Darwin online)

Diese Fahrt, die sie Jahre lang vor Südamerikas Küsten führt, war bereits die zweite Reise für das 1820 vom Stapel gelaufene Schiff, das von 1825 bis 1830 eine Kartierungsreise nach Patagonien unternommen hatte. Nach Darwins Rückkehr blieb sie ein weiteres Jahrzehnt auf See.

Nach 25 Dienstjahren und einer knappen Million zurückgelegter Seemeilen war die " Beagle allerdings "in einem schlechten Zustand", wie ihr letzter Kommandant John Stokes verzeichnete. Bei ihrer dritten großen Forschungsreise Richtung Australien wäre sie 1842 beinahe in einem Sturm vor Sydney gekentert.

Kampf gegen Schmuggler

Die Admiralität sah dennoch einen Nutzwert in der Beagle: In Sheerness mit einem neuen Kupferboden versehen, wurde sie am 14. Juni 1845 auf ihre letzte Reise geschickt. Sie verließ die Themsemündung, segelte an der Küste von Essex entlang und gelangte über die Flüsse Crouch und Roach in den sogenannten Paglesham Pool. In diesem Seitenarm, benannt nach dem nahegelegenen Fischerdorf Paglesham, ging sie endgültig vor Anker.

Die Gegend mit ihrem unübersichtlichen Geflecht kleiner Kanäle und niedrig gelegener Salzmarschen war Mitte des 19. Jahrhunderts ein Paradies für Schmuggler, die hier vom Kontinent stammende Ware versteckten. Von der Beagle als Mutterschiff aus wurden von nun an kleinere Boote der Küstenwache koordiniert, deren Aufgabe es war, Schmugglerschiffe aufzubringen.

Lokale Austernfischer beschwerten sich jedoch über das Hindernis, das die Brigg in dem schmalen Flussarm darstellte. Daher legte die Küstenwache 1850 auf dem Land der Gutsherrin Lady Olivia Sparrow ein Dock für die Beagle an. Angesichts des schlammigen Untergrunds müsse das Dock "ein erstaunliches Beispiel viktorianischer Ingenieurskunst gewesen sein", vermutet Robert Prescott.

Im Census von 1851 und 1861 ist die Beagle an diesem Anlegeplatz verzeichnet. "Das Studium der Admiralitäts-Unterlagen verrät einiges über das Leben auf dem Schiff", berichtet Robert Prescott. Die Besatzungen der Patrouillenboote, meist ältere Seeleute, die sesshaft geworden waren, hatten Erlaubnis, samt ihren Familien an Bord der Beagle zu wohnen.

Es sind sogar einige Bordgeburten verzeichnet - "ein beneidenswerter Eintrag in der Geburtsurkunde", meint Prescott. Nachdem sie 25 Jahre die Weltmeere befahren hatte, verbrachte die Beagle nun also die zweite Hälfte ihrer 50-jährigen Existenz im stationären Dienst der Küstenwache, auf einer Art maritimem Altenteil. Und das nur knapp 50 Kilometer entfernt von Down House in Kent, wohin Charles Darwin sich 1842 mit seiner Familie zurückgezogen hatte.

Im Jahre 1870 war das Schiff jedoch derart altersschwach, dass es abgewrackt werden musste. Dieser Umstand war Marinehistorikern bereits bekannt, allerdings wurde bisher angenommen, die Beagle sei in einem Abwrackplatz an der unteren Themse auseinandergenommen worden. Robert Prescott hat jedoch Indizien dafür entdeckt, dass die Brigg direkt an ihrem letzten Ankerplatz in ihre Einzelteile zerlegt wurde.

Demnach taten sich hierzu zwei ortsansässige Farmarbeiter namens Murray und Trainer zusammen, die das Schiff in einer Auktion erwarben. Sie verkauften alles verwertbare Metall, Balken und Deckplanken an Interessenten aus der Umgebung: "Wir haben schriftliche Nachweise, dass 1870 in Paglesham Eisen aus einem Schiffsabbruch angekauft wurde", berichtet Prescott. "Und wir haben entdeckt, dass in einem nahen Industriegebäude aus jener Zeit Schiffsplanken verbaut wurden."

Mit Generalstabskarten aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schritten Prescott und sein Team aus St. Andrews 2004 den Uferbereich ab, in dem sie das viktorianische Dock vermuteten. Schon bei einer ersten oberflächlichen Suche stießen sie auf eine Menge loser Funde wie Geschirr, Kochgerät und zerbrochene Spielsachen, die hier ein Vierteljahrhundert lang über Bord gegangen und im Schlamm der Salzmarschen versunken waren.

Im Flussschlamm in der Nähe fand man einen Anker von genau jener Sorte, welche zum permanenten Festmachen eines Schiffes wie der Beagle verwendet wurde. Mithilfe eines Bodenradars, magnetometrischer und Volumenwiderstands-Tests gelang die Lokalisierung "einer umfassenden Anomalie" in etwa sieben Metern Tiefe.

Diesen Fund hält Robert Prescott für die Reste des ausgeschlachteten Gerippes der Beagle: "Murray und Trainer waren Laien. Als der Abbruch des Schiffsrumpfes zu schwierig wurde, ließen sie den Rest einfach liegen, der dann über die Jahre im Boden versank", glaubt er.

Jetzt, im Winter, ruhen die Arbeiten bei Paglesham. Die eigentliche Ausgrabung, die sehr teuer und aufgrund des weichen Marschbodens nicht ungefährlich wären, haben noch nicht begonnen. Erst gilt es, Bohrkernproben der versunkenen Schiffsüberreste zu ziehen und diese auf Mikroorganismen zu untersuchen.

Besonders interessant wäre es, wenn die Forscher Bakterien finden, die in britischen Flüssen oder der Nordsee nicht heimisch sind. Prescott ist überzeugt: "Wenn wir solche Organismen finden, dann wissen wir endgültig, dass es die Beagle ist." Mit einem solchen Fund, so hofft der Archäologe, könnte man die nötigen finanziellen Resourcen sichern, die für eine Ausgrabung notwendig wären.

Was aber wäre der Sinn einer solchen Ausgrabung? Welche neuen Erkenntnisse könnte sie zutage fördern? "Zunächst weiß man vorher nie, was eine archäologische Grabung zutage fördert", sagt Prescott. "Vor allem aber hätte sie einen großen inspiratorischen Wert. Die Beagle ist eine Art wissenschaftliche Reliquie, es ist wichtig, dass wir ihre gesamte Geschichte kennenlernen."

Dem Tourismus in Essex, meint er schließlich, könnte das Ganze auch auf die Beine helfen.

Charles Darwin im Netz: The Complete Work of Charles Darwin online Das Darwin-Jahr

© SZ vom 07.03.2009/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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