Raumfahrt:Die Chefin

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Pascale Ehrenfreund. (Foto: dpa)

Pascale Ehrenfreund leitet seit sechs Monaten das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Die erste Frau an der Spitze muss die Weltraum- und Flugzeugforschung weiter modernisieren.

Von Alexander Stirn

Ihre Hände hält Pascale Ehrenfreund kaum je still. Mal knetet die Astrobiologin ihre goldgelb lackierten Fingernägel. Mal klimpert sie wie eine Klavierspielerin auf der Tischkante. Mal schlägt sie mit der Handkante auf die Platte. Die Gestik ist kein Zeichen von Nervosität. Sie ist Ausdruck von Tatendrang und vielleicht auch von Rastlosigkeit.

Seit fast sechs Monaten steht die 55-Jährige an die Spitze des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) - mit etwa 8000 Mitarbeitern eine der größten Forschungseinrichtungen Europas. Sie hat seither 28 der 33 DLR-Institute besucht. Sie hat Hände geschüttelt, sich von Problemen berichten lassen und als bekennende "Laborratte" Wissenschaftlern über die Schulter geschaut.

Ehrenfreund hat dabei ein DLR kennengelernt, das gut strukturiert ist, auf das aber neue Probleme zukommen: Angesichts der irdischen Herausforderungen, allen voran der Migration, steht die Erforschung ferner Welten oder neuer Flugzeugantriebe nicht unbedingt im Mittelpunkt - geschweige denn deren Finanzierung. Gleichzeitig mischen Privatunternehmen und ehrgeizige Milliardäre das Geschäft mit Raketen in den USA auf. Das wiederum bedroht Europas - und damit auch Deutschlands - Wettbewerbsfähigkeit in der Raumfahrt. Keine Zeit also, die Hände in den Schoß zu legen.

"Neue Impulse" in Forschung und Entwicklung solle Ehrenfreund setzen, ließ Matthias Machnig, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, nach der Entscheidung für die gebürtige Wienerin verlauten. Dabei hat Ehrenfreunds Vorgänger Johann-Dietrich Wörner, der Anfang Juli an die Spitze der Europäischen Raumfahrtagentur Esa gewechselt ist, das DLR bereits gehörig umgekrempelt. Aus einem Bürokratiemonster mit starken Institutsleitern, die ihre Pfründe zu verteidigen wussten, ist eine mehr oder weniger moderne Forschungseinrichtung geworden. Wo also setzt man die neuen Impulse?

Ehrenfreund, die zuletzt den österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung geleitet hat, scheint ihren Ansatz dennoch gefunden zu haben: Synergien. Immer wieder taucht das oft für Sanierung missbrauchte Schlagwort im Gespräch auf. "Wir haben mittlerweile 8000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im DLR, die künftig noch stärker zusammenarbeiten sollen", sagt Ehrenfreund. Die Grenzen zwischen den einzelnen Instituten, zwischen Grundlagenforschung und Produktentwicklung, zwischen Naturwissenschaftlern und Ingenieuren mit ihren oftmals eigenen Kulturen und Sprachen sollen durchlässiger werden. Die Astrobiologin sagt Sätze wie: "Wir sind unser eigenes Innovationsökosystem."

Das klingt bürokratisch und wenig konkret. Doch Ehrenfreund denkt an elektrische Flugzeuge, bei denen Experten aus den Bereichen Energie und Luftfahrt kooperieren, oder an Rotorblätter von Windrädern, in deren Entwicklung Kenntnisse aus der Fliegerei einfließen. Immerhin ist schon mal eine Arbeitsgruppe zum Thema Synergie gegründet worden, und die soll keine Eintagsfliege sein: "Die Anforderungen ans DLR und die Vorgaben der Regierung entwickeln sich dynamisch weiter", sagt Ehrenfreund. Das Zentrum müsse stets versuchen, die passende Antwort parat zu haben.

Interdisziplinarität - für Ehrenfreund ist das mehr als ein Schlagwort, es ist die Basis ihrer eigenen Karriere. Weil sie sich nicht entscheiden konnte, studierte die Wienerin sowohl Astrophysik als auch Molekularbiologie. Sie habilitierte sich in Astrochemie und baute in den Niederlanden eine Arbeitsgruppe für Astrobiologie auf. Gemeinsam mit ihrem Mann, dem Esa-Forscher Bernard Foing, entdeckte sie in interstellaren Gaswolken unter anderem Hinweise auf sogenannte Fußballmoleküle, die aus sechzig Kohlenstoffatomen bestehen. Doch Ehrenfreund, Mutter zweier erwachsener Kinder, beließ es nicht dabei. Sie hängte noch ein Management-Studium dran. 2008 wurde sie Professorin für Internationale Weltraumpolitik am Space Policy Institute der amerikanischen George Washington University.

"Ich hatte oft das Gefühl, dass politische Entscheidungen nach lückenhafter Information fallen."

Was treibt eine vielseitige und viel zitierte Astrobiologin, nach der sogar ein Asteroid benannt ist, in das Haifischbecken der Wissenschaftspolitik? "Ich hatte schon früh in meiner Karriere mit Raumfahrtmissionen zu tun und oft das Gefühl, dass Wissenschaftler nicht richtig gehört werden und politische Entscheidungen oft auf Basis lückenhafter Informationen fallen", sagt Ehrenfreund. In den USA habe sie vor allem gelernt, den kontinuierlichen Dialog mit Politikern zu suchen. "Das müssen wir in Deutschland noch verbessern", sagt die DLR-Chefin. "Politiker sind äußerst beschäftigt und haben mit sehr vielen Dingen zu tun. Man darf ihnen nicht einfach nur sagen: Wir brauchen mehr Geld. Man muss stets vermitteln, was wir Tolles leisten, was der Nutzen unserer Arbeit ist."

In den kommenden Monaten dürfte Ehrenfreund viele Gelegenheiten dazu haben: Jahrzehntelang galt Deutschland als Europas größter Befürworter und Zahlmeister der Internationalen Raumstation ISS, welche die Erde in etwa 400 Kilometern Höhe umkreist. Bis zum Jahr 2020 ist die Finanzierung der Station gesichert, die internationalen Partner wollen bis 2024 verlängern. Europa zögert - und inzwischen auch Deutschland. Das Wirtschaftsministerium hat beim DLR eine Kosten-Nutzen-Analyse für die ISS angefordert. Auf deren Basis soll im Dezember entschieden werden, ob und in welcher Höhe weiterbezahlt wird.

Auch das europäische Exomars-Projekt, das 2018 ein Roboterfahrzeug auf dem Roten Planeten absetzen will, wackelt. Unsicher ist, ob alle Instrumente rechtzeitig fertig werden. Russland, das für den Transport und die Landung verantwortlich sein soll, stellt sein Raumfahrtprogramm gerade neu auf. "Wir sind leider abhängig von anderen Staaten", sagt Ehrenfreund, "Europa sollte sich überlegen, ob wir nicht selbst die nötigen Technologien für Marslandungen entwickeln sollten."

Dass die Österreicherin einst selbst Instrumente zur ISS geschickt hat und an der Entwicklung von Exomars 2018 beteiligt war, "hilft natürlich bei Diskussionen, wenn man sämtliche Details kennt und wenn niemand einem etwas vormachen kann. Aber die Entscheidungen, die wir nun in Deutschland zu Exomars und zur ISS fällen müssen, dürfen selbstverständlich nicht von meinen wissenschaftlichen Vorlieben abhängen", sagt Ehrenfreund.

Verglichen mit dem Gründergeist der neu in den Markt drängenden Raketenbauer in den USA wirkt Europas Raumfahrt wie ein schwerfälliger Tanker, für den alle zwei Jahre bei einem Treffen der Esa-Länder ein Konsens-Kurs gefunden werden muss. Ehrenfreund könnte sich aber vorstellen, künftig risikoreichere Forschung und Privatfirmen zu unterstützen.

Die 55-Jährige drängt es dabei - anders als ihren Vorgänger - nicht in die Öffentlichkeit. Vor der DLR-Jahreshauptversammlung im November, ihrem ersten großen Auftritt, saß sie aufrecht auf der Vorderkante ihres Stuhls, um dann eine wenig mitreißende Rede vom Blatt abzulesen. Im persönlichen Gespräch ist Ehrenfreund durchaus locker und inhaltsstark. Generell arbeite sie lieber im Hintergrund und habe einen starken Drang, sich der medialen Aufmerksamkeit zu entziehen, schrieb sie vor einigen Jahren in einem Essay für die Fachzeitschrift Astrobiology. Inzwischen klingt das anders: "Wenn man an der Spitze einer Organisation wie dem DLR arbeitet, muss man bereit sein, im Vordergrund zu stehen. Das ist kein Problem für mich", sagt Ehrenfreund. Dazu gehört für die Astrobiologin auch der Kontakt zur Bevölkerung, nicht nur durch sie, sondern durch alle DLR-Mitarbeiter: "Die Menschen müssen verstehen, warum wir Wissenschaft betreiben, und wie die Raumfahrt, aber auch die anderen Forschungsbereiche des DLR, ihren Alltag verbessern können."

Ihre beiden Vorgänger, der mürrische Sigmar Wittig und der quirlige Johann-Dietrich Wörner, waren Ingenieure, langjährige Hochschuldirektoren, Männer. Ehrenfreund ist Astrobiologin, kommt aus dem Ausland, nicht aus dem üblichen Biotop der deutschen Wissenschaftsbürokratie. Und sie ist die erste Frau an der Spitze einer deutschen Großforschungseinrichtung. Ihre Qualifikation sollte jedoch niemand anzweifeln: "Ich arbeite seit 25 Jahren in der Raumfahrt, mir kann kaum jemand was erzählen, was ich nicht in kurzer Zeit nachprüfen kann. Dafür habe ich meine Kontakte auf der ganzen Welt, bin in Labors aufgewachsen und habe eine Organisation zur Forschungsförderung geleitet", sagt Ehrenfreund energisch und lässt ihre Hände wie Rotorblätter durch die Luft wirbeln. "Mich zu wählen, so denke ich, war schon eine durchdachte Entscheidung."

© SZ vom 28.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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