Psychologie:Warum das Vorbild nicht zu vorbildlich sein darf

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Unsportliche Menschen möchten von einem Muskelprotz lieber nicht unterrichtet werden. (Foto: Sean Locke, iStockphoto)

Erscheinen Ärzte, Fitnesstrainer oder Profisportler allzu tadellos, rufen sie heftige Abwehr hervor. Für welche Eigenschaften dies besonders gilt, haben Forscher nun erkundet.

Von Sebastian Herrmann

Es herrscht Bedarf an Vorbildern. Wer in der Öffentlichkeit steht, an den werden große Erwartungen herangetragen. Fußballer sollen sich ihrer Vorbildfunktion stets bewusst sein, heißt es dann unter besonderem Verweis auf die fragile Jugend, die ansonsten ohne Orientierung dem Verderben entgegentaumele. Politiker sollen sich sowieso vorbildlich verhalten, und im Büro ist Gesetz: Wenn der Chef von seinen Angestellten Überstunden einfordert, dann darf er bitte schön nicht am frühen Nachmittag auf den Golfplatz verschwinden. Und ein rauchender, übergewichtiger Arzt gilt rasch als Heuchler. Die Maßstäbe an Vorbilder sind hoch - und zugleich enorm widersprüchlich. Wer sich nämlich tadellos verhält, muss ebenfalls mit Kritik rechnen. So ein Streber, führt sich auf wie ein Heiliger!

Vorbilder dienen als Referenzgröße, als Standard, an dem der Normalbürger sein Handeln misst. Jedoch bereitet es in keinem Bereich des Lebens Freude, sich mit weit überlegenen Menschen zu vergleichen: Werden einem zu deutlich die Grenzen aufgezeigt, kostet es Mühe, sich selbst trotzdem wertzuschätzen. Die schärfsten Abwehrreflexe, so die Psychologin Lauren Howe von der Stanford University, wecke aber der Eindruck moralischer Unterlegenheit. Als Laie neben einem Profimusiker zu dilettieren, kratzt das Selbstbild nur geringfügig an. Als moralischer Versager und schlechter Mensch dazustehen, weckt hingegen starke Minderwertigkeitsgefühle, die um beinahe jeden Preis vermieden werden.

Die Psychologen Howe und Benoît Monin demonstrieren das in einer Studie im Journal of Personality and Social Psychology: Wenn Mediziner sich selbst als Fitnessfreaks darstellen, verzichten insbesondere übergewichtige Patienten mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einen Termin in ihrer Praxis - aus Angst gering geschätzt, als faul und schwach stigmatisiert zu werden. Gesundheit, so argumentiert Howe, sei heute moralisch aufgeladen. Körperliche Fitness gilt als Verantwortung des Individuums, was im Umkehrschluss bedeutet, dass Krankheit oder Übergewicht als persönliches Versagen empfunden werden und Schuldgefühle wecken. Ein Mediziner, der dann auch noch von seinem Fitnessprogramm schwadroniert, potenziert diese Gefühle.

Absurd ist es schon, denn zugleich erwarten Patienten von Ärzten schließlich, dass sich diese in besonderem Maße um ihre eigene Gesundheit kümmern. Auch Ärzte glauben, dass ihre Vorbildfunktion dies verlange - und dann fördert entsprechendes Wohlverhalten nur Verweigerung und Abwehr bei Patienten.

Dabei reicht es schon, wenn der Vorwurf nur im Denken des Unterlegenen existiert. Aus der Forschung ist bekannt, dass Vegetarier deshalb oft so heftige Ablehnung auslösen, weil Fleischesser sich in ihrer Gegenwart automatisch unter ethischem Rechtfertigungsdruck wähnen. Das Gleiche haben Forscher in Versuchen beobachtet, in denen Probanden als Einzige in einer Gruppe moralisch richtig handeln: Statt Bewunderung schlägt den heiligen Abweichlern Hass entgegen, weil sie den anderen ihr Fehlverhalten vor Augen führen; und weil es leichter ist, andere zu schmähen, als eigenes Versagen einzugestehen. Gnade also denen, die ein Vorbild sein sollen.

© SZ vom 03.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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