Psychologie:Lügen kurbelt die Kreativität an

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Durch Schummeln zur Schöpferkraft: Wer trickst und betrügt, wird einfallssreicher. Das gilt nicht nur für das Erfinden von Lügen, sondern auch für das Lösen alltäglicher, kreativer Aufgaben.

Von Sebastian Herrmann

Lug und Betrug kitzeln Kreativität aus den Menschen. Ja, wirklich: Wer etwa seinen Partner von außerehelichen Abenteuern ablenken oder arglose Anleger um Geld erleichtern will, der muss ständig neue Nebelkerzen werfen. Je höher das errichtete Lügengebäude wächst, desto wackeliger wird es auch. Das fordert Ideen und Einfälle, um den Betrug mit neuen Manövern, Tricks und Täuschungen aufrecht zu halten. Insofern klingt es sofort einleuchtend, was die Psychologen Francesca Gino von der Universität Harvard und Scott Wiltermuth von der University of Southern California im Fachjournal Psychological Science (online) berichten: Wer bei der Lösung einer Aufgabe schummelt, der erzielt in anschließenden Kreativitätstests tatsächlich bessere Leistungen.

"Regeln sind dazu da, um gebrochen zu werden" - dieses Sprichwort trifft in zweierlei Hinsicht ins Schwarze. Zum einen verletzen jede Lüge und jeder Betrug moralische oder juristische Regeln. Und zum anderen wecken Kunst, Literatur oder andere Werke dann die Bewunderung des Publikums, wenn sie sich vom Gewöhnlichen absetzen, also die aktuell etablierten Regeln brechen, die für den jeweiligen Zusammenhang gelten. Gino und Wiltermuth demonstrierten nun, dass ein Normenverstoß an sich ausreicht, um die Kreativität in einem Bereich zu fördern, der damit gar nichts zu tun hat.

In einem Experiment forderten die Psychologen ihre Probanden auf, Denkaufgaben zu lösen. Jede korrekte Antwort vergüteten sie mit einer finanziellen Belohnung. Allerdings durften die Teilnehmer sich im Privaten an den Aufgaben versuchen und konnten den Studienleitern anschließend selbst mitteilen, wie viele ihrer Antworten richtig waren.

Ideale Bedingungen also, um die Wahrheit ein wenig zu strapazieren. Genau das taten die Probanden: 59 Prozent der 153 Teilnehmer übertrieben ihre Leistungen. Später baten die Psychologen ihre Probanden, an einem Assoziationstest teilzunehmen, bei dem sie einen vierten zu drei vorgegebenen Begriffen finden mussten. Die Schummler stellten sich dabei besonders gut an. Wer zuvor betrogen und seine Leistungen übertrieben hatte, der kam auf mehr und außerdem überraschendere Assoziationen.

Diesen Befund wiederholten die Psychologen in weiteren, ähnlichen Tests. Stets schienen Kreativität und Regelverstöße in Zusammenhang zu stehen. Die entscheidende Variable für ein Ideenfeuerwerk schien zu sein, wie stark sich die Probanden von Regeln eingeschränkt fühlten. Je dehnbarer diese für sie waren, desto besser schnitten sie auch in den Kreativitätstests ab.

Die Suche nach dem exakten Ursache-Wirkungs-Verhältnis erscheint jedoch etwas verwirrend. Andere Studien haben zuletzt gezeigt, dass kreative Menschen auch eher lügen oder betrügen. Und andererseits scheinen Lug und Betrug die Ideenproduktion ihrerseits anzukurbeln. Eines ist auf jeden Fall klar: Kreative Geister kommen auf die besten Ideen, um ihre eigenen Verfehlungen vor sich selbst zu rechtfertigen.

© SZ vom 22.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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