Psychologie:Haptisch statt praktisch

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Kunden sind mit digitalen Produkten emotional weniger verbunden als mit analogen. Das zeigt sich auch daran, welchen Preis sie bereit sind zu bezahlen.

Von Sebastian Herrmann

Was die Musiksammlung einst Platz verbraucht hat, ist kaum mehr vorstellbar. Heute sind die Platten und CDs im Keller verschwunden, stehen in Regalen oder sind in Kartons bestattet. Erst haben MP3-Files ihren Platz eingenommen, sofern das Wort Platz im Fall von Dateien angebracht ist. Und dann verschwanden auch die in der Rumpelkammer des Rechners und wurden von Streaming-Diensten ersetzt. Die Digitalisierung krempelt eben das Leben um - dieser Satz ist ein Allgemeinplatz. Zu den missachteten Auswirkungen des Phänomens zählt, dass den Menschen digitaler Besitz weniger wert ist und sie auch weniger dafür bezahlen wollen als für ein physisches Produkt - selbst wenn es den gleichen Inhalt hat.

Dass Musik, Filme oder Texte für Konsumenten heute digital abrufbar sind, stellt einen gigantischen Vorteil dar. Und doch, so wundern sich Ozgun Atasoy und Carey Morewedge von den Universitäten Basel und Boston, werden noch immer LPs, CDs, DVDs verkauft, während das klassische Buch den Markt noch immer dominiert und der Bereich E-Book stagniert. In fünf Experimenten zeigen die Sozialwissenschaftler, dass Konsumenten physisch vorhandene Produkte schlicht mehr schätzen. Diese erzeugen ein stärkeres Gefühl "psychologischen Besitztums", wie die Forscher das Phänomen nennen.

Andere Wissenschaftler haben beobachtet, dass sich Menschen Dinge - im übertragenen Sinne - aneignen, indem sie diese anfassen. Sogar eine lediglich imaginierte Berührung eines Gegenstands kann bereits Gefühle von Verbundenheit und Besitzanspruch wecken. Diese und weitere Facetten fassen Atasoy und Morewedge in ihrem Konzept des psychologischen Besitztums zusammen.

In mehreren Experimenten haben die Forscher beobachtet, dass Probanden mehr Geld für den gleichen Inhalt - ein Foto etwa oder ein Buch - ausgeben würden, wenn dieses in analoger Form vorliegt. So waren Wirtschaftsstudenten bereit, mehr für ein Lehrbuch aus Papier zu bezahlen als für die digitale Variante. Anders stellte sich die Situation dar, wenn die Filme oder Bücher nur geliehen wurden: In diesem Fall war der Preis jeweils der gleiche, den die Probanden bereit waren zu zahlen. Geliehene Dinge erzeugen eben kein Gefühl des Besitztums. Und generell gilt: Ein altes Buch, eine alte LP können Zustände süßer Melancholie wecken; das schafft keine alte Datei.

© SZ vom 26.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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