Psychologie:Mitleid mit dem Teufel

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Wer besonders empathisch ist, fühlt auch mit weniger sympathischen Zeitgenossen mit. (Foto: 'artursfoto'; via www.imago-images.de/imago images / Panthermedia)

Verdient auch der Bösewicht Empathie? Viele meinen: nein. Wer mit den falschen Menschen fühlt, zieht deshalb Kritik auf sich.

Von Sebastian Herrmann

Jetzt hat es Rudy Giuliani erwischt, den ehemaligen Bürgermeister von New York und gegenwärtigen Gehilfen des abgewählten US-Präsidenten Donald Trump. Der 76-Jährige hat sich also mit dem Coronavirus angesteckt. Und angesichts seines Altes von 76 Jahren zählt Giuliani zur Gruppe der Covid-19-Risiko-Patienten. Noch ist unklar, wie es ihm geht, doch die Gefahr für einen schweren Verlauf ist vergleichsweise groß. Diesseits des Atlantiks und in großen Bevölkerungskreisen in den USA gilt Giuliani zugleich als Schurke und Witzfigur. Für Trump organisiert er die juristischen Bemühungen, das Wahlergebnis zu kippen. Zuletzt zog Giuliani viel Spott auf sich, als er vor einem Gartenbauunternehmen eine Pressekonferenz hielt, einem Gericht eine derangiert bis betrunken wirkende Zeugin präsentierte und nach Ansicht vieler Social-Media-Nutzer dabei auch pupsen musste. Trotzdem: Giuliani ist ein Mensch und als solcher hat er Empathie verdient, wenn er sich mit einem potenziell tödlichen Virus infiziert. Oder?

Nun ja. So einfach ist das mit der Empathie nicht, und gerade haben die Psychologen Andre Wang und Andrew Todd von der University of California in Davis gezeigt: Wer Empathie mit den falschen Menschen zeigt, steht anschließend selbst ein bisschen blöd da. Wer mit negativ beleumundeten Menschen Mitgefühl zeige, wenn diese einen Schicksalsschlag zu verdauen haben, erleide in seiner Außenwirkung womöglich ein paar Kratzer, argumentieren die Forscher im Journal of Personality and Social Psychology. Ihre Ergebnisse verdeutlichten, dass "Menschen zwar sehr oft aufgefordert werden, auch gegenüber unsympathischen Leuten Empathie zu zeigen", schreiben Wang und Todd, "sie aber nicht immer gut beraten sind, das auch umzusetzen".

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Die Psychologen leiten ihre Studie mit einer Begebenheit aus dem Jahr 2017 ein, als die New York Times ein Porträt über einen Mann brachte, der politisch in der extremen Rechten zu Hause war. In dem Text wurde die Hauptfigur als facettenreiche Persönlichkeit geschildert und daraus schließlich die Frage abgeleitet, wie ein intelligenter, sozial integrierter und ansonsten geschmackssicherer Mensch an die dunkle Seite verloren gehen konnte. Dem Autor brachten diese Schilderungen heftige Kritik ein: Mit einem Nazi fühle man nicht mit, lautete der Tenor, sondern man verurteile ihn.

Macht sich jemand zum Unmenschen, wenn er sich für einen Neonazi freut?

In ihren insgesamt sieben Versuchen legten die Forscher vielen Hundert Teilnehmern ähnliche Szenarien zur Beurteilung vor. Zum Beispiel zeigte eine Frau Empathie mit einer weiteren Frau, die einen Schicksalsschlag erlebt hatte. In einer Version arbeitete die derart Gebeutelte für ein Kinderkrankenhaus, in einer anderen für eine rechtsradikale Organisation. Die Probanden mussten schließlich die Frau beurteilen, die Mitgefühl zeigte - und die Bewertung fiel deutlich positiver aus, wenn die Empathie die Frau aus der Kinderklinik traf. Das gleiche Muster beobachteten die Psychologen, wenn sie zum Bespiel Reaktionen auf Unglücke bewerten ließen, die Impfgegnerinnen im Gegensatz zu -befürworterinnen passierten.

Dennoch: Empathie mit gebeutelten Fieslingen zu zeigen, warf ein minimal besseres Licht auf die Mitfühlenden, als gar nicht mit den vom Schicksal drangsalierten Menschen zu leiden. Anders verhielt es sich, wenn Empathie von einem positiven Ereignis geweckt wurde, sich also jemand mit einem anderen über einen Erfolg freute. Wer sich - grob verkürzt - mit vom Glück geküssten Rechtsradikalen freute, machte sich in den Augen von Beobachtern selbst zum Unmenschen. "Empathie gilt meist als Tugend, doch nicht immer werden Menschen positiv bewertet, wenn sie Empathie zeigen", so das Fazit von Wang und Todd.

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