Psychologie:Die hassen Katzen!

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Warum man Andersdenkende oft für schlechtere Menschen hält.

Von Sebastian Herrmann

Die Karikatur hat sich als allgegenwärtige Waffe in den politischen Debatten der Gegenwart etabliert. Reflexartig zeichnen - im übertragenen Sinne - streitlustige Rechthaber aller Lager ein absurd übertriebenes Zerrbild der Gegenseite. Die anderen sind böse, niederträchtig und verfolgen finstere Ziele! Kritisiert oder verspottet jemand zum Beispiel die Grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, malen ihre Anhänger in Reaktion eine Karikatur dieser Figuren: Hier sprechen Frauenhasser, heißt es dann, Schergen des Patriarchats, denen ein neuer SUV wichtiger sei als die Zukunft ihrer Kinder.

Das Gegenlager entwirft hingegen ein ebenso übertriebenes Gemälde der Grünen und ihrer Kandidatin. Diese Feinde der Freiheit wollen alles verbieten, wüten sie, Flüge, Eigenheime, Autos, Schnitzel. Sogar das Lachen würden sie einem wegen damit verbundener CO₂-Emissionen untersagen, wenn sie nur könnten. Nicht alle Karikaturen sind lustig, im Gegenteil, sie können auch zynische Resignation auslösen.

Die reflexhafte, übertriebene Abwertung der politischen Gegenseite verschärft sich parallel zum Grad der Polarisierung vieler Gesellschaften. Je stärker sich Einzelne mit einem Lager identifizieren, desto abschätziger wird ihre Meinung von der Gegenseite. Gerade haben Kathryn Denning und Sara Hodges von der University of Oregon eine Studie publiziert, die das Ausmaß dieses Mechanismus verdeutlicht. Wie die Psychologinnen berichten, unterstellen Menschen Anhängern der politischen Gegenseite quasi, das negative Spiegelbild ihrer selbst zu sein. Dies gelte nicht nur für moralische Überzeugungen und politische Einstellungen, sondern auch für Persönlichkeitsmerkmale und alltägliche Vorlieben, so die Forscherinnen.

Wer gerne Pistazieneis isst, glaubt, dass alle anderen diese Sorte auch lieben

Das Ich dient Menschen als Referenzgröße für eine Einschätzung anderer. "Dabei projizieren wir normalerweise unsere Eigenschaften auf andere Leute", sagen Denning und Hodges. Wer zum Beispiel gerne Pistazieneis isst, um mal ein ideologisch neutrales Beispiel zu wählen, geht meist davon aus, dass alle anderen diese Sorte auch lieben. Ebenso verhält es sich mit politischen und moralischen Ansichten: Es überrascht doch stets immens, wenn jemand eine Angelegenheit komplett anders einschätzt. Wie Denning und Hodges zeigen, weckt dies eine Kontraprojektion. Wenn derjenige so auf dem Holzweg ist, so der Denkprozess, dann muss er auch in anderen Eigenschaften das Gegenteil von mir sein. Kommt dazu noch Antipathie ins Spiel, gießt dies Benzin ins Feuer der Emotionen.

Die Psychologinnen ließen für ihre Studie mehr als 1000 Probanden die Eigenschaften einer Frau beschreiben, die ihnen als Foto vorgelegt und entweder als Trump-Fan oder -Gegnerin vorgestellt wurde. Zählten sie selbst zum jeweiligen Gegenlager, zeichneten sie eine Karikatur dieser Frau - bis hin zu absurden Details: Wer Katzen liebte, unterstellte ihr zum Beispiel Hundeliebe. Wer Comedy mochte, beschrieb die Frau als humorbefreit und so weiter. Das galt, natürlich, erst recht für politische Themen, nach dem Motto: Wer nicht wie ich ist, muss ein Unmensch sein. Aber wer etwas anders sieht als man selbst, frisst nicht automatisch süße Katzenbabys.

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