Portrait:Wissen verpflichtet

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Mario Molina hat mit seiner Forschung dazu beigetragen, dass FCKW verboten wurden. Der mexikanische Chemiker hat zudem noch viel vor: Er setzt sich für frühe und werteorientierte Bildung ein.

Von Johanna Pfund

Der 28. Juni 1974 war ein guter Tag für die Welt. An diesem Tag veröffentlichten der junge mexikanische Wissenschaftler Mario Molina und sein Professor Frank Sherwood Rowland von der University of California in Irvine in der Zeitschrift Nature den Aufsatz "Stratospheric sink for chlorofluoromethanes: chlorine atom-catalysed destruction of ozone". Die These der beiden war: Die massenhaft produzierten Fluorchlorkohlenwasserstoffe könnten die schützende Ozonschicht in der Atmosphäre zerstören.

Es folgten hektische Jahre, denn die beiden Wissenschaftler hatten beschlossen, den engen Kreis akademischer Diskussion zu verlassen und aktiv auf Politik und Gesellschaft einzuwirken, wie Molina in seiner Autobiografie für die Nobel-Stiftung schreibt. Mit Erfolg: Die Fluorchlorkohlenwasserstoffe wurden weltweit verboten und die beiden Akademiker erhielten zusammen mit dem Meteorologen Paul J. Crutzen 1995 den Nobelpreis in Chemie.

Das FCKW-Verbot wurde erfolgreich auf internationaler Ebene durchgesetzt

Auf diesen Lorbeeren könnte sich Molina ausruhen, doch das tut er nicht. Der 74-Jährige hat noch viel vor - für Mexiko und die ganze Welt. "Es ist unverantwortlich, dass wir mit dem Klimawandel künftige Generationen einem hohen Risiko aussetzen", erklärt er. "Wir müssen auf der ganzen Welt zusammenarbeiten."

Verantwortung und Kooperation waren schon in den 1970er- und 1980er-Jahren wesentliche Werte für den jungen Chemiker aus Mexiko. "Wir hatten damals das Glück, dass wir mit der Industrie zusammenarbeiten konnten", berichtet Molina. FCKW waren 1929 von dem Maschinenbauingenieur Thomas Migley erfunden worden und dienten dazu, Werkstoffe zu reinigen, waren Treibgas für Haarspray oder wurden für Feuerlöscher oder in Kühlschränken verwendet. Dass die Stoffe die Ozonschicht, die vor UV-Strahlung schützt, angreifen könnten, wie Molina behauptete, wurde angezweifelt. Messungen in den 80er-Jahren zeigten schließlich auffällig niedrige Ozonwerte über der Antarktis, ein Zeichen, dass die Ozonschicht ausgedünnt war. Die These von Molina und Rowland bestätigte sich also. 1987 einigten sich 196 Länder und die EU im Protokoll von Montreal darauf, Chemikalien, die die Ozonschicht angreifen, zu reduzieren und später zu verbieten. Der einstige UN-Generalsekretär Kofi Annan nannte es das "vielleicht erfolgreichste internationale Einzelabkommen". Molina beurteilt es ähnlich: "So kam eine internationale Vereinbarung über ein globales Problem zustande." Ein gutes Beispiel für eine wirksame Zusammenarbeit von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft.

Doch etabliert hat sich die Zusammenarbeit bei globalen Problemen nicht. Die so mühsam errungene weltweite Einigung über die Begrenzung des Temperaturanstiegs erodiert gerade; die Trump-Administration in den USA hat kürzlich angekündigt, aus dem Abkommen auszusteigen. Ein schlechtes Signal an die Weltgemeinschaft, wenn einer der Hauptverursacher des Temperaturanstiegs das Thema ins Reich der Unwahrheiten befördert.

"Wir müssen mit der Gesellschaft zusammenarbeiten. Das ist eine Frage der Ethik."

Zum Leidwesen von Molina, der 2004 in Mexiko-Stadt ein eigenes Institut gegründet hat, das Empfehlungen für die Politik in Mexiko wie der ganzen Welt liefern soll - zu Klimawandel, Luftreinheit, nachhaltiger Entwicklung und Bildung. "Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen für die Gesellschaft", erklärt der Chemiker. Es könne fatale Folgen haben, sollte die Weltgesellschaft nicht konsequent gegen den Klimawandel vorgehen. Molina ist Wissenschaftler genug, um zu sagen, dass die Folgen nicht exakt abzuschätzen sind. Doch die Anzeichen stehen für ihn auf Sturm. "Die Temperatur steigt so stark an, dass eine Katastrophe sehr wohl kommen kann." Besonders betroffen seien die Entwicklungsländer mit ihren beschränkten Ressourcen. Umso mehr sieht der Mexikaner da die Wissenschaft in die Pflicht. "Forscher können nur sagen, was die Wahrscheinlichkeiten sind, aber sie müssen mit der Gesellschaft zusammenarbeiten, das ist eine Frage der Ethik. Es gibt zwei Dinge, die wir machen müssen." Aufgabe eins: die Fakten klarstellen. Aufgabe zwei: Die Erkenntnisse müssen kommuniziert werden. Keine leichte Sache, wie der Chemiker einräumt, denn wie Kommunikation funktioniert, das lernen die Wissenschaftler seiner Ansicht nach kaum.

Mario Molina ist der einzige Mexikaner, der einen wissenschaftlichen Nobelpreis erhalten hat. (Foto: Olivier Morin/AFP)

Doch lernen kann man nicht früh genug. Gleich, ob es um Naturwissenschaften oder um Werte geht. Wieder einmal hat der Praktiker Molina diese Erkenntnis in Handeln umgesetzt. Molinas Zentrum in Mexiko fördert mit Schulprojekten Wissensvermittlung und vor allem: Wertebildung. "Es ist gerade für Entwicklungsländer von entscheidender Bedeutung, die naturwissenschaftliche Bildung dramatisch zu verbessern - ebenso wie die Kultur." Denn Korruption, Kriminalität und die wirtschaftliche Abhängigkeit von den USA, in die 80 Prozent von Mexikos Exporten gehen, machen Molinas Heimatland schwer zu schaffen. "Wir haben Schwierigkeiten in Mexiko, da unsere Wirtschaft stark vom Handel mit den USA abhängt. Zum Glück verbessert sich der Handel mit Ländern wie Deutschland deutlich", sagt Molina. Und gegen Dinge wie Korruption und Ignoranz gibt es für den Nobelpreisträger nur ein Mittel: Bildung, die Werte vermittelt. Die stark macht gegen Populismus.

© SZ vom 29.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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