Wie irre kalt es derzeit in den USA ist, versuchen manche Menschen dort zu demonstrieren, indem sie kochendes Wasser in die Luft schleudern. Noch bevor sie den Boden erreicht, verwandelt sich die Flüssigkeit in eine Wolke und Hagelkörner, die hörbar auf die Erde prasseln. Ein Fake? Nein.
Allerdings belegen die Bilder weniger die extreme Kälte als vielmehr das erstaunliche physikalische Verhalten von Wasser. Das Faszinierende ist nämlich: Wenn statt der heißen Flüssigkeit kaltes Wasser verwendet wird, bleibt der Effekt aus.
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Warum genau das so ist, konnten Physiker noch nicht abschließend erklären. Es dürften jedoch einige Faktoren eine Rolle spielen, die für ein schon sehr lange bekanntes Paradoxon diskutiert werden: Heißes Wasser gefriert schneller als kaltes.
Bereits der griechische Philosoph Aristoteles grübelte im vierten Jahrhundert vor unserer Zeit über diese Tatsache. Der englische Mönch und Philosoph Roger Bacon beschäftigte sich dann im 13. Jahrhundert damit und sein Landsmann Francis Bacon, Wissenschaftler und Philosoph des 17. Jahrhunderts, scheiterte bei der Suche nach Erklärungen genauso wie sein französischer Kollege und Zeitgenosse René Descartes. Danach geriet die Sache irgendwie in Vergessenheit.
Erst 1963 geriet der Effekt wieder ins Visier der Forscher, nachdem der 13-jährige Erasto Mpemba in Tansania bei einem Schulprojekt schluderte. Beim Versuch, aus Milch Eiscreme herzustellen, stellte er die noch heiße Ausgangsflüssigkeit ungeduldig in den Kühlschrank. Seine Creme gefror schneller als die Proben seiner Schulkameraden, die brav abwarteten, bis ihre Flüssigkeiten Raumtemperatur erreicht hatten, und sie erst dann in den Kühlschrank stellten. Seitdem wird der Effekt, den Mpemba gemeinsam mit dem britischen Physiker Denis Osborne, damals am University College Daressalaam, Tansania, 1969 im Journal Physics Education beschrieb, als Mpemba-Effekt oder -Paradoxon bezeichnet.
Im engeren Sinne bezieht sich der Name auf folgendes Experiment: Zwei identische offene Behälter werden mit derselben Menge Wasser gefüllt. Die eine Flüssigkeit ist wärmer als die andere. Dann werden beide gleichzeitig unter identischem Druck und derselben Umgebungstemperatur abgekühlt (etwa im Kühlschrank oder im Winter im Freien). Die Temperatur des wärmeren Wasser sinkt dann schneller auf etwa drei Grad ab, behält diese Temperatur eine Weile und gefriert dann deutlich früher als die zuvor kältere Flüssigkeit.
Zwar gab es seitdem eine ganze Reihe von Vorschlägen, das Phänomen zu erklären.
- So liegt die Vermutung nahe, dass es einen Zusammenhang mit der schnelleren Verdunstung von heißem Wasser gibt. Dadurch verringert sich das Volumen der Flüssigkeit, die letztlich gefrieren muss. Der Prozess der Verdunstung selbst hat zudem eine kühlende Wirkung.
- Gasblasen, von denen es in wärmerem Wasser weniger gibt, spielen vermutlich eine Rolle.
- Im Wasser gelöste Salze senken den Gefrierpunkt. In heißem Wasser aber fallen diese eher aus, ihr Einfluss nimmt dadurch ab.
- Außerdem ist heißes Wasser in der Mitte natürlich wärmer als an den schneller abkühlenden Rändern. Durch diese Temperaturdifferenzen kommt es zu Strömungen innerhalb des Wassers, die ebenfalls zur Abkühlung beitragen. In warmem Wasser ist diese "Konvektion" stärker als in kaltem Wasser.
- Auch die "Unterkühlung" (Supercooling) gehört zu den vorgeschlagenen Erklärungen. Dabei handelt es sich um das Phänomen, dass Flüssigkeiten unter bestimmten Bedingungen weit unter ihrem eigentlichen Gefrierpunkt flüssig bleiben und erst fest werden, wenn ein Kristallisationskeim hineinkommt - das kann schon ein Staubpartikel sein.
Doch alle diese Erklärungsansätze waren so unbefriedigend, dass 2012 die britische Royal Society of Chemistry einen Wettbewerb initiierte: Wer die "beste und kreativste Erklärung des Phänomens" bieten würde, sollte 1000 Pfund erhalten. Im Januar 2013 wurde der Gewinner verkündet: Von den 22.000 Einsendungen hatte die Erklärung des Kroaten Nikola Bregovic die Jury am meisten überzeugt. Der Chemiker von der Universität Zagreb hatte eine Reihe eigener Experimente unternommen, und kam zu dem Schluss, dass auch er keine abschließende Lösung finden kann.
Vielmehr habe bereits James D. Brownridge von der State University of New York, vor einigen Jahren zu Recht auf die Bedeutung der Unterkühlung hingewiesen. Allerdings, so stellte Bregovic fest, müsse die Rolle der Konvektion stärker betont werden.
Eine weitere Erklärung haben kürzlich Forscher um Xi Zhang von der Nanyang Technological University in Singapur vorgestellt. Sie führen das Mpemba-Paradoxon auf die ungewöhnlichen Prozesse zurück, die bei der Abkühlung von heißem Wasser auf der Ebene der Bindungen zwischen Wasser- und Sauerstoff ablaufen. ( Wer Genaueres zu den komplizierten Erklärungen wissen will, findet die Originalliteratur hinter den Links in diesem Text.)
Nun ist es etwas anderes, ob Wasser in einer Schale in den Kühlschrank gestellt oder in die Luft geschleudert wird. Einige Faktoren, die für das Mpemba-Phänomen diskutiert werden, dürften aber natürlich auch hier eine Rolle spielen. So verändert sich zum Beispiel die Oberfläche der heißen Wassermasse, wenn sie aus einer Schale in die Luft gegossen wird, abrupt und erheblich, was den Verdunstungsvorgang und damit den Abkühlungsprozess deutlich verstärken dürfte.
Dass derzeit in den USA also heißes Wasser als Hagelkörner auf den Boden prasselt, ist also keine überraschende Folge der Polarkälte dort. Wäre es diese allein, so hätten sich nicht einige US-Amerikaner bei dem Versuch verbrüht, das Experiment zu wiederholen.
Die Beobachtung belegt aber, was auch Nikola Bregovic nach seinen Experimenten feststellte: "Wieder einmal überrascht und fasziniert uns dieses kleine, einfache Molekül mit seiner Magie."
P.S. Auch ohne zu wissen, wieso es funktioniert, nutzen Hersteller von Speiseeis den Mpemba-Effekt. Und jeder Autofahrer weiß, dass bei Minusgraden kein warmes Wasser zur Wagenwäsche verwendet werden sollte.
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