New York:Kartierung der Schaben

Lesezeit: 4 min

Amerikanische Großschaben gehören in New York zum lästigen Teil des Alltags (Foto: Joao Estevao A. de Freitas)

New York ist voller Kakerlaken, doch die Wissenschaft hat die Krabbeltiere lange Zeit missachtet. Erstmals untersucht nun ein Forscher die Populationen der ungeliebten Insekten anhand ihrer Gene.

Von Kathrin Werner

Sie sind rotbraun, haben sechs kräftige Beinchen mit Haaren, lange Fühler und können sehr schnell rennen. Auf der Liste der unbeliebten Tiere belegen Schaben wahrscheinlich einen Spitzenplatz, besonders in New York, wo sie zum lästigen Teil des Alltags gehören wie die Ratten in den U-Bahn-Schächten.

Sie krabbeln über Gehsteige, in Waschbecken und unter Supermarktregalen hervor. Auch Arbeitszimmer von Tageszeitungs-Korrespondenten sind nicht vor ihnen sicher. Es gibt einen Stadtplan, in dem ein Grüppchen Schabenhasser wöchentlich verzeichnet, in welchen Restaurants die Inspektoren der New Yorker Gesundheitsbehörde auf Schaben gestoßen sind - die Daten sind öffentlich verfügbar. Der Stadtplan ist tiefrot, weil die Tiere in so vielen Restaurantküchen der Metropole auftauchen. Kurz: Die Schaben sind überall.

"Sie sind schon ein bisschen eklig", sagt Mark Stoeckle von der Rockefeller University in New York. Seine Aufmerksamkeit gilt trotzdem der amerikanischen Großschabe ( Periplaneta americana), die ihren Namen nicht umsonst trägt - sie kann gut vier Zentimeter lang werden, die Antennen nicht mitgerechnet.

Wer die Schaben wirklich sind, das weiß keiner

Es gebe bislang nur wenig Forschung zu Schaben, auch nicht zur weltweit häufigsten Art, der amerikanischen Großschabe, sagt Stoeckle. Einmal haben Wissenschaftler in Kalifornien ein paar Schaben im Labor rennen lassen. Das Ergebnis: Die Versuchsschaben kamen auf ein Spitzentempo von 5,4 Kilometer pro Stunde, also rund 50 Mal ihre Körperlänge pro Sekunde. Würde ein Mensch so schnell laufen, käme er auf 330 km/h.

Aber wer die Schaben wirklich sind, das weiß keiner. Vor allem gibt es kaum Forschung, die sich mit dem Erbgut der Tiere befasst. Bevor er mit seinem Projekt losgelegt hat, habe es weltweit gerade mal 23 DNA-Proben von Schaben gegeben, sagt Stoeckle. "Schaben sind eben nicht sehr exotisch. Wer Feldforschung betreiben möchte, sucht sich meist kein Projekt in Großstädten."

Stoeckle aber widmet sich den Schaben. Er hat das National Cockroach Project ins Leben gerufen und die Menschen aufgerufen, die Schaben aus ihren Wohnungen oder von den Gehwegen oder den Supermarktregalen einzusammeln und ihm - bitte tot - nach New York zu schicken. Aus dem ganzen Land und sogar aus Spanien, Australien oder Argentinien kamen seither Großschaben per Post in sein Labor.

Die meisten brachten aber die New Yorker Nachbarn persönlich vorbei, fein säuberlich verpackt in Plastiktütchen, einige waren ganz schön zerquetscht. 200 Tiere hat Stoeckle in den vergangenen Wochen eingesammelt, 130 sind schon fotografiert, analysiert und katalogisiert. An der Rockefeller University gibt es ein Sommerprogramm für Highschool-Schüler aus der Stadt, die sich für Biologie interessieren.

Stoeckles Schaben hat alle die 17-jährige Schülerin Joyce Xia auseinandergenommen und untersucht. Sie hat ihnen jeweils ein Beinchen ausgerissen, das Beinchen zerquetscht und im Reagenzglas mit Chemikalien vermischt, sodass sie die DNA gewinnen konnte. Am Anfang war sie angewidert, aber sie hat sich daran gewöhnt - im Dienste der Forschung.

"Unsere Ergebnisse sind erstaunlich", sagt Stoeckle. Vier verschiedene Genotypen der amerikanischen Großschabe haben Xia und er identifiziert. Die Tiere verteilen sich nicht gleichmäßig über New York, sondern bleiben am liebsten in ihren eigenen Gruppen in ihren Stadtteilen. Der Genotyp von Schaben aus der Upper West Side ist zum Beispiel ganz anders als der aus der Upper East Side von Manhattan, obwohl die Stadtviertel nur durch den Central Park getrennt werden.

Und auf Roosevelt Island, nahe der Rockefeller University, lebt wiederum ein anderer Typ Schabe. "Und all diese verschiedenen Typen leben in New York zusammen in ihren eigenen Stadtteilen", sagt Stoeckle, "genauso wie wir Menschen." Vor Millionen Jahren hätten sich die verschiedenen Typen genetisch voneinander getrennt und sind jetzt noch immer in New York so aufzufinden.

Erst dachten die Forscher, es könnte sich vielleicht nicht nur um verschiedene Genotypen handeln, sondern sogar um unterschiedliche Arten. Das aber scheint doch nicht der Fall zu sein. Manchmal paaren sich die verschiedenen Typen untereinander, sodass Mischlingsschaben entstehen. Trotzdem sagt Stoeckle: "Die Schaben bleiben einfach gern in ihren Gruppen. Sie müssen eine Fähigkeit haben, mit der sie einander erkennen können. Aber jetzt, wo sie hier zusammen leben, werden sie sich vermehrt kreuzen."

Die Schaben passen gut in diese Stadt

Die Schaben passen gut in diese Stadt, sagt der Wissenschaftler, der auch Humanmediziner ist. "Sie sind alle Immigranten, genau wie wir New Yorker." Ursprünglich stammen die Tiere nicht aus New York, sondern sind irgendwann aus der tropischen Hitze Afrikas eingewandert. Wann und woher genau sie kamen, ist nicht bekannt. Es muss aber passiert sein, seit es Heizungssysteme gibt, denn im Winter ist es in New York eigentlich zu kalt für die Insekten. Die Tiere überwintern gern in feuchten und warmen Heizungsschächten oder U-Bahn-Kanälen.

"Sie sind im Überfluss vorhanden, aber wir wissen noch nicht so viel über Schaben, wir müssen noch sehr viel mehr forschen", sagt Stoeckle. Dass der Mensch die als Schädlinge geltenden Tiere ausrottet, glaubt er nicht. "Sie sind gekommen, um zu bleiben. Sie sind Teil des Lebens."

Je kälter es ist, desto schwieriger wird es, die Schaben zu sammeln. Sie verkriechen sich. Im kommenden Sommer, hofft Stoeckle, schicken die Amerikaner und vielleicht auch Menschen aus dem Rest der Welt ihm wieder ihre amerikanischen Großschaben per Post oder bringen sie ihm im Labor vorbei. Er arbeitet an einer Schaben-Landkarte für die Stadt, in der er alle Schaben-Genotypen aufzeigt. Mit den DNA-Proben will er nach und nach eine Datenbank erstellen und herausfinden, woher die Schaben kommen, was die verschiedenen Typen gemeinsam haben und was sie trennt, sagt er. "Das Ziel ist ein Schabenatlas für die ganze Welt."

© SZ vom 02.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: