Neurologie:Strom und Strafe

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Bei elektrischer Stimulation bestimmter Gehirnregionen verhalten sich Probanden manchmal normgerechter als ohne die Stromstöße. Das lässt weit reichende Gedankenspiele zu: Gibt es bald die Tätertherapie aus der Steckdose?

Von Christian Weber

Eigentlich weiß das jeder seit der Zeit der Kindergeburtstage: Jeder Gast sollte etwas vom Kuchen abbekommen, und die Stücke sollten möglichst ähnlich groß sein. Trotzdem hält sich nicht jeder an diese Regel, schon gar nicht, wenn die anderen anonym bleiben, so wie in einem Experiment, das jetzt Neuroökonomen um Christian Ruff und Ernst Fehr von der Universität Zürich anstellten ( Science, online).

In einem Spiel bekamen die insgesamt 63 Probanden eine Summe reales Geld, dann wurden sie an ein Computerterminal gesetzt und sollten einen Teil der Summe einem unbekannten Gegenüber abgeben - oder auch nicht.

Die Studienteilnehmer fanden in wohlverstandenem Eigeninteresse durchschnittlich 10 bis 25 Prozent Abgabe angemessen. Dies änderte sich jedoch, als der Gegenspieler in einer zweiten Runde die Gelegenheit bekam, sich wieder Geld nach seinem Belieben zurückzuholen. Bei dieser drohenden Strafsituation rückten die Teilnehmer gleich in der ersten Runde einigermaßen faire 40 bis 50 Prozent der Summe heraus. Soweit, so wenig überraschend: Strafe führt zu sozialem Wohlverhalten.

Die Statistik änderte sich allerdings deutlich, als den Probanden eine Elektrode von der Fläche etwa einer Zigarettenschachtel auf den Hinterkopf geschnallt wurde und im Rahmen einer sogenannten transkraniellen Gleichstromstimulation (tDCS) ein kontinuierlicher Gleichstrom nicht-invasiv ins Gehirn verabreicht wurde. Dieser bewirkt, dass die Aktivität der Neuronen in einer anvisierten Gehirnregion - in diesem Fall im sogenannten rechten lateralen präfrontalen Cortex (rLPFC) - stimuliert oder gedämpft wird.

Als unter diesen elektrischen Bedingungen gespielt wurden, verhielten sich die Studienteilnehmer recht bizarr: Unter der Strafandrohung im Zwei-Runden-Spiel überließen sie nun dem Gegenspieler deutlich mehr Geld als ohne Strom im Gehirn, also noch mehr als die gängige Vorstellung von Fairness geboten hätte.

Umgekehrt verhielt es sich im Ein-Runden-Spiel, wo den Spielern keine Sanktion drohte: Hier transferierten die Probanden noch weniger Geld als zuvor. Eigentlich unstimmig. Interessant war auch, dass die beobachteten Effekte deutlich kleiner wurden, als die Probanden nur gegen den Computer statt gegen reale Menschen spielten. Der soziale Kontext scheint für die Stromwirkung wichtig zu sein.

Neue Behandlung neurologischer Störungen?

Das seien Fragen, die noch geklärt werden müssten, gestehen auch die Studienautoren, dennoch sind sie überzeugt, einen Durchbruch geschafft zu haben: "Unsere Ergebnisse lassen vermuten, dass die rLPFC-Aktivität eine zentrale biologische Voraussetzung für einen evolutionär und sozial wichtigen Aspekt im menschlichen Verhalten ist: das Einhalten von Normen, wie es sie nur unter Menschen gibt", schreiben die Wissenschaftler in Science.

Noch mutiger geben sich die Autoren der zugehörigen Pressemitteilung: "Dies könnte von Bedeutung sein bei der Behandlung mancher psychiatrischer oder neurologischer Störungen, oder bei Kriminellen, für die das Nicht-Einhalten sozialer Normen ein Problem ist." Tätertherapie aus der Steckdose?

So voreilig das auf den ersten Blick auch wirken mag, zeigt sich doch mit der Studie der Zürcher Wissenschaftler erneut, dass es auch für soziale Verhaltensweisen möglicherweise spezifische neuronale Korrelate gibt, die sich theoretisch auch von außen beeinflussen lassen.

© SZ vom 04.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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