Mikrobiologie:Kollektiver Abschied

Lesezeit: 2 Min.

Manche Bakterienarten verhalten sich auf bizarre Weise: Wird die Nahrung zu knapp, senken die Keime den pH-Wert in ihrer Umgebung so sehr ab, dass sie selbst sterben - und zwar ausnahmslos alle. Welchen Sinn ergibt so eine Strategie?

Von Katrin Blawat

Wenn es ihnen zu eng wird, fackeln manche Bakterien nicht lange. Befinden sich zu viele von ihnen auf einem Haufen, wählen zum Beispiel Mikroben namens Paenibacillus einen drastischen Schritt, der zur eigenen Auslöschung führt: Sie begehen "ökologischen Suizid", wie Forscher des Massachusetts Institute of Technology in Cambridge und der Ludwig-Maximilians-Universität München im Fachmagazin Nature Ecology & Evolution schreiben.

Ihre Experimente sind ein eindrückliches Beispiel dafür, wie vielschichtig Mikroben zusammenarbeiten. Ein Bakterium lebt nicht einfach einzeln vor sich hin, sondern es bildet komplexe Gemeinschaften mit seinesgleichen. Beispielsweise hilft man sich gegenseitig mit Nährstoffen aus und sorgt dafür, dass Schmarotzer, die immer nur nehmen und nie geben, nicht weit kommen. Und sieht die Lage sehr schlecht aus, weil sich zu viele Mikroben auf zu wenig Platz die Ressourcen streitig machen, töten sich einige Bakterien eben kollektiv selbst. Mit einer vermeintlich paradoxen Folge, bedeutet es doch, dass es für Paenibacillus-Populationen am besten ist, wenn sie unter eher knappen Nahrungsbedingungen leben. Zwar sollte genug da sein, um nicht hungern zu müssen. Doch ein allzu üppiges Angebot bekommt den Bakterien nur für kurze Zeit. Langfristig führt es zu allzu starker Vermehrung und die wiederum zum selbst ausgelösten Massensterben.

Die Bakterien senken den pH-Wert ihrer Umgebung so sehr, dass alle Mikroben sterben

Wie das Team um Christoph Ratzke und Jeff Gore zeigte, verändern die Paenibacillus-Keime ihre Umgebung gemeinschaftlich so, dass sie lebensfeindlich wird. Für die im Boden lebenden Paenibazillen bedeutet dies, aktiv den pH-Wert ihres Lebensraums zu senken, indem sie Säuren an den Boden abgeben. Irgendwann ist die Umgebung so sauer, dass auf einen Schlag die gesamte Population stirbt. Der ökologische Suizid tritt nur bei einer hohen Bakteriendichte auf, weil nur viele dicht gedrängte Mikroben genug Säure für eine tödliche Konzentration produzieren können.

Um zu testen, ob wirklich die von den Bakterien ausgelöste pH-Wert-Änderung Ursache des Massensterbens war, experimentierten die Forscher mit verschieden starken Zusätzen, die eine Ansäuerung der Umgebung abpufferten. In diesen Fällen überlebte die Population.

Schon lange kennen Biologen das Phänomen, dass sehr große Populationen - egal ob es sich um Bakterien oder zum Beispiel Säugetiere handelt - irgendwann schrumpfen, weil die Ressourcen nicht dauerhaft für die vielen Individuen ausreichen. Normalerweise verschwindet dabei jedoch nicht die gesamte Population komplett, wie es bei Paenibacillus der Fall ist. Stattdessen bleiben einige wenige Individuen übrig, die sich zu vermehren beginnen, sobald wieder mehr Nahrung und Platz zur Verfügung steht. Damit beginnt der Zyklus von vorn. Verglichen mit diesen Populations-Schwankungen stelle der ökologische Suizid eine extreme Version dar, schreiben die Forscher. Doch scheint er überraschend weit verbreitet zu sein, zumindest unter Bodenbakterien. Bei zahlreichen weiteren Arten entdeckte das Team ebenfalls die Neigung zum ökologischen Suizid. Dieser sei "kein exotischer Effekt, sondern kommt recht häufig vor", folgern die Autoren.

© SZ vom 19.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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