Menschheitsgeschichte:Knochen aus den Badlands

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Die Afar-Region ist eine Wiege der Menschheit. Hier waren einst Ardi, Lucy und andere berühmte Vorfahren des modernen Menschen unterwegs.

Von Hubert Filser

An manchen Stellen sind die Schichten mit den uralten Fossilien mehrere Hundert Meter dick. Die untersten Bereiche sind dabei mehr als sechs Millionen Jahre alt. Die ganze Region lag einst tiefer als heute, Regen im Hochland Äthiopiens schwemmte Sediment in die Täler. Dann wieder hob sich das Land aufgrund der Bewegung der Erdplatten, das Klima wurde trockener. Doch im Inneren der Erde, in den schlammigen Ablagerungen der einstigen Überflutungsflächen von Seen und Flüssen wie dem Awash lag ein wertvolles Gut: Knochen und Zähne von Tieren, die es längst nicht mehr gibt, und auch von unseren frühesten Ahnen.

Das Great Rift Valley und insbesondere die Afar-Senke mit dem Tal des Awash nennen Forscher gern "Wiege der Menschheit". Es ist schließlich eine schöne Vorstellung, dass die Menschheit an einem Ort entstanden sei und sich im Lauf von Jahrmillionen von Afrika aus über die Erde ausgebreitet hat. Doch vermutlich umfasste die Ursprungsregion weit größere Teile Afrikas, Gebiete, in denen sich vor zehn Millionen Jahren der tropische Regenwald zurückzog und an seinen Rändern ein lockeres Waldland hinterließ. Dort war der aufrechte Gang, das erste wichtige menschliche Merkmal, ein evolutionärer Vorteil.

Die Afar-Senke war eine solche Ursprungsregion. Es ist der Fundort fossiler Ikonen. Nur eine weitere Gegend kann da mithalten, die als Unesco-Welterbe geschützte "Cradle of Humankind" nördlich von Johannesburg in Südafrika mit ihren weitverzweigten Karsthöhlen. Doch die Funde im Norden Äthiopiens reichen sehr viel weiter zurück. Vor ungefähr 5,5 Millionen Jahren durchstreifte der Ardipithecus kadabba die Gegend, er konnte kurze Strecken bereits aufrecht laufen, lebte und schlief aber wie ein Affe auf Bäumen. Vor 4,4 Millionen Jahren war hier westlich des Awash "Ardi" unterwegs, der Vormensch ähnelte noch mehr einem Affen als einem Menschen, er konnte sowohl aufrecht gehen als auch mithilfe seines gespreizten Großzehs auf Bäume klettern. Dieser von Wissenschaftlern Ardipithecus ramidus genannte Vormensch wiederum lebte nur rund 75 Kilometer von "Lucy" entfernt. Die Überreste der 3,2 Millionen Jahre alten Australopithecus afarensis-Frau wurden im einst grünen Tal des Flusses Awash gefunden.

Kommt nach Jahrmillionen ein Fossil ans Tageslicht, müssen die Anthropologen schnell sein

Die Liste der eng beieinanderliegenden Fundorte ließe sich fortsetzen: Dikika an den steil abfallenden Hängen des Awash-Flusses, Woranso-Mille oder Ledi-Geraru. Und wenn man das Rift Valley hinabreist, stößt man im Norden Tansanias in der Olduvai-Schlucht auf die ältesten Steinwerkzeuge und auf frühe Überreste der Gattung Homo. Als Hommage an diesen Ort ließ Stanley Kubrick den Beginn seines Films "2001: Odyssee im Weltraum" in der Olduvai-Schlucht spielen, ein schwarzer, außerirdischer Monolith führt zu einer Veränderung der Vormenschen und lässt sie zu Jägern und Werkzeugmachern werden.

Dass derart viele Fossilien im Rift Valley gefunden wurden, liegt auch an seinen geologischen Besonderheiten. Sowohl die Olduvai-Schlucht als auch das Tal des Awash waren vom Hochland umgeben, das im Wind und bei Starkregen relativ rasch erodierte. Damals war das Klima feucht. Vor allem nach heftigen Regengüssen trug der Awash Schlamm und Steine vom Hochland hinab in die Afar-Senke. Die Flusstäler füllten sich immer wieder mit weicheren Sedimenten, die Vor- und Frühmenschen oder auch Tiere nach ihrem Tod relativ bald bedeckten und so konservierten.

Die lockere Zusammensetzung der Sedimentschichten führt dazu, dass noch heute in der mittlerweile extrem trockenen Region immer wieder Knochen zum Vorschein kommen. Man nennt solche Gebiete auch Badlands. Das Gestein, oft Sand- oder Schluffstein oder vulkanische Asche, verwittert leicht, der Boden reißt auf. Es entstehen steile Hangkanten. Wird dort nach Jahrmillionen ein Fossil ans Tageslicht befördert, müssen die Anthropologen schnell sein. Nach wenigen Jahren an der Oberfläche wären die Knochen verwittert und verloren. Deshalb gibt es in der Region immer wieder Suchprojekte. So entdeckte das Team um den Anthropologen Tim White im November 1994 "Ardi". Der äthiopische Forscher Yohannes Haile-Selassie spürte zwei Bruchstücke von Mittelhandknochen auf, später fanden Teammitglieder in der drei bis sechs Meter starken Sedimentschicht weitere Knochen. Seit jüngster Zeit scannen Forscher gezielt Hügel und Erdschichten in der Afar-Senke, die rund 2,5 bis drei Millionen Jahre alt sind, sie suchen dort Hinweise auf den noch unklaren Übergang von Vormenschen wie den Australopithecinen zu Frühmenschen der Gattung Homo.

Einen Vorteil bietet die geologische Situation. Die Sedimente lassen sich gut datieren. Zwischen den Schichten finden sich oft Vulkanascheablagerungen, deren Alter sich über radioaktive Isotope bestimmen lässt. "Ardi" und auch "Lucy" lagen jeweils zwischen deutlich sichtbaren Aschelagen. Sie sind wie Ziffern auf der großen Uhr der Menschheitsgeschichte.

© SZ vom 12.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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