Materialforschung:Ich war eine Kartoffelschale

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Eine amerikanische Forscherin will aus Biomüll vielfältig einsetzbare und auch noch umweltfreundliche Hightech-Sensoren bauen. Die Minigeräte könnten in Zukunft Krebszellen oder Schadstoffe in Lebensmitteln aufspüren.

Von Andrea Hoferichter

Kartoffelschalen, Brauerei- und Ernteabfälle, das sind die Stoffe, aus denen die Träume von Virginia Davis sind. Die Forscherin der Auburn University im US-Bundesstaat Alabama will aus dem Zelluloseanteil des Biomülls sogenannte mikroelektromechanische Systeme fertigen. Diese Systeme haben tausendstel Millimeter kleine Strukturen, die sich durch leichten Druck oder durch elektrische Impulse verformen. Sie sorgen unter anderem dafür, dass Druckertinte an den gewünschten Stellen auf dem Papier landet, Airbags bei Unfällen aufspringen und Kamerabilder nicht verwackeln. Sie spüren Schadstoffe auf, diagnostizieren Krankheiten und helfen etwa als Sensoren in Herzschrittmachern bei medizinischen Therapien.

Bisher werden die Systeme vor allem aus Silizium gefertigt. Die US-Forscher setzen stattdessen auf Schichten aus Nanozellulose. Das Material wird aus Zellulose gewonnen, einem zuckerbasierten Stoff, der unter anderem in den Wänden von Pflanzenzellen steckt. "Unser Prozess ist ressourcenfreundlich und spart viel Energie, denn er findet bei deutlich niedrigeren Temperaturen statt", sagt Davis. Zudem brauche er weniger Hightech, sodass auch kleinere Unternehmen die Mikrosysteme aus Biomüll herstellen könnten. Die Systeme seien billiger als die Pendants aus Silizium und bioverträglich, was für Anwendungen im medizinischen Bereich von Vorteil sei. Sie sind hitzebeständiger als Mikrosysteme aus Kunststoffen, die ebenfalls als billigere Siliziumalternative infrage kommen, und stabiler als solche auf Papierbasis, die unter anderem Forscher der Harvard University vor ein paar Jahren präsentierten.

Die ehemaligen Abfälle könnten Krebszellen oder Gifte in Lebensmitteln aufspüren

Die Details zum patentierten Verfahren beschrieben die Forscher kürzlich im Fachblatt ACS Applied Materials and Surfaces. Mikroskopaufnahmen zeigen die Ergebnisse: wenige Zehntelmillimeter lange Streben aus Nanozelluloseschichten, die wie Zinken eines Kamms an nur einer Seite auf dem Untergrund fixiert sind. Solche Strukturen kommen zum Beispiel in Beschleunigungssensoren zum Einsatz. Die Zinken verformen sich bei Beschleunigung, was unter anderem elektrisch oder mit Licht ausgelesen werden kann. Dazu müssten die hauchdünnen Nanozellulosebalken allerdings noch mit elektroaktiven Materialien beschichtet oder die Nanozellulose vorab mit solchen gemischt werden. "Glücklicherweise können wir hier aber auf gängige Prozesse der Halbleiterindustrie zurückgreifen", sagt Davis. Sollen Schadstoffe oder Biomarker von Krankheiten aufgespürt werden, kommen zusätzliche Beschichtungen zum Einsatz, an denen die zu detektierenden Substanzen kleben bleiben. Dann verändert das zusätzliche Gewicht die Zinken, kann sie sogar verbiegen.

Nanozellulose ist ein Newcomer im Reich nachhaltiger Materialen und wird erst seit einigen Jahren intensiv erforscht, unter anderem als Grundstoff für plastikfreie Leiterplatten, für bioabbaubare Verpackungen, als Baustoff und als Verstärkung für besonders leichte Autokarosserien. Doch bisher wird sie fast ausschließlich aus frischem Holz statt aus Agrar- oder Industrieabfällen hergestellt. Das müsse sich dringend ändern, forderten kanadische Wissenschaftler Anfang des Jahres im Magazin ACS Sustainable Chemistry and Engineering. Schließlich seien die Abfälle jederzeit verfügbar, ressourcenschonender und billiger. Bis es soweit ist, kann es aber noch dauern.

Die Forscher aus Alabama wollen derweil die Festigkeit ihrer Nanozellulosebauteile noch erhöhen und bald erste praktisch einsetzbare Sensoren präsentieren. Diese sollen zum Beispiel Biomarker von Krebszellen aufspüren können oder Schadstoffe in Lebensmitteln und im Trinkwasser.

© SZ vom 23.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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