Marssimulation:"Wir werden wie Versuchskaninchen überwacht"

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Wartet bezugsfertig auf seine sechs neuen Bewohner: das HI-SEAS Gebäude auf dem Vulkan Mauna Loa auf Hawaii. (Foto: dpa)

Christiane Heinicke zieht am Samstag in eine simulierte Mars-Station auf Hawaii. 365 Tage lebt die Physikerin in einer Kugel, die sie nur mit Raumanzug verlassen darf.

Interview: Jan Hellmut Schwenkenbecher

Ein bemannter Flug zum Mars ist bislang unmöglich. Frühestens Mitte der 2030er Jahre könnten Menschen zum Roten Planeten fliegen, schätzt die Nasa. Doch erste Vorbereitungen laufen bereits. Denn ein Flug zum Mars und zurück würde Jahre dauern - in dieser Zeit müssten Astronauten gut miteinander auskommen. Das von der Universität Hawaii und der Nasa geförderte Projekt "Hawaii Space Exploration Analog and Simulation" (HI-SEAS) untersucht deshalb die Gruppendynamik künftiger Marsmissionen.

Dazu ziehen am Samstag für ein Jahr drei Frauen und drei Männer in ein abgeschottetes Gebäude, das sich auf halber Höhe des 4170 Meter hohen Vulkans Mauna Loa auf Hawaii befindet. Die Physikerin Christiane Heinicke ist die erste Deutsche, die dort einzieht. Die 29-Jährige Physikerin aus Sachsen-Anhalt forschte zuletzt im finnischen Aalto an der Simulation von Meereis.

SZ: Frau Heinicke, Sie wollen jetzt ein Jahr lang in einer Kugel mit einem Durchmesser von elf Metern leben - mit fünf weiteren Personen. Warum tun Sie sich das an?

Heinicke: Mich reizt die Herausforderung. Mit fünf Leuten, abgeschnitten von der Außenwelt, da sind Probleme und Konflikte vorprogrammiert. Wir führen auch selbst wissenschaftliche Projekte durch, da müssen wir trotz des Stresses miteinander klarkommen und produktiv arbeiten.

Kann man denn überhaupt von Hawaii auf den Mars schließen? Macht so eine Simulation Sinn?

Bei der Studie geht es nicht darum, technische Systeme auszutesten. Der Faktor Mensch ist ein nicht zu unterschätzendes Risiko bei Langzeitmissionen zum Mars und HI-SEAS soll helfen, dieses Risiko senken. Hauptziel ist es, soziale Interaktion und Gruppendynamik zu untersuchen. Insbesondere, wie sie sich im Verlauf des Jahres verändert.

Was kann denn passieren?

Konflikte können in allen möglichen Situationen auftreten: Beim Festsetzen unserer Zeitpläne, oder jemand reagiert genervt, wenn ein Teammitglied zu laut schnarcht oder das Abendessen anbrennt.

Aber Sie wissen, dass Sie abbrechen können, wenn etwas passiert. Ein wesentlicher Stressfaktor fällt somit weg.

Jein. Solange ein Abbruch nicht unbedingt notwendig ist, wollen wir das durchziehen. Wir haben auch eine Ärztin im Team und können per Mail weitere Ärzte befragen. Bei einem wirklichen Notfall können wir schon einen Krankenwagen oder einen Helikopter rufen, das ist aber wirklich das allerletzte Mittel.

Wirklich?

Wir haben viel Zeit investiert. Man entscheidet sich ja nicht aus einer Laune heraus, für ein Jahr wegzugehen. Wenn man ausgewählt wurde und mitmacht, dann hört man nicht bei dem ersten Wehwehchen am Finger einfach auf.

Was haben Freunde und Familie gesagt, als Sie die Zusage hatten?

Die erste Reaktion war: Du bist doch verrückt! Danach kam ein bisschen der Stolz durch. Ich habe schon mehrfach im Ausland gewohnt, meine Familie ist also daran gewöhnt, mich nicht ständig um sich herum zu haben. Das einzige, was sich wirklich ändert ist, dass wir nicht mehr telefonieren können. Und ich kann Weihnachten nicht nach Hause fahren.

Wieso können Sie nicht telefonieren? Wie läuft der Kontakt nach Hause ab?

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(Foto: HI-SEAS / NASA)

Ein Modell der Halbkugel, in der die Teilnehmer ein Jahr leben. Angebaut ist eine 15m² große Werkstatt, entstanden aus einem umfunktionierten Schiffscontainer.

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(Foto: HI-SEAS / NASA)

Das Erdgeschoss des Gebäudes: Auf knapp 80m² sind Küche, Speisekammer, Ess- und Arbeitsbereich, Labor und ein Bad.

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(Foto: HI-SEAS / NASA)

Im 40m² großen Obergeschoss sind die Räume der Teilnehmer und ein weiteres Bad.

Jegliche Kommunikation wird um 20 Minuten verzögert, um die Entfernung zum Mars zu simulieren. Telefonieren fällt da raus. Es bleiben also nur noch Emails. Und ich blogge über das Experiment.

Was gibt es in der Station zu essen?

Größtenteils Trockennahrung. Also Nudeln, Reis, alles was man gut lange lagern kann. Und nach zwei Monaten kommt dann ein "Versorgungsschiff" mit neuen Vorräten.

Welche Bedingungen erwarten Sie noch?

Wenn wir nach draußen wollen, können wir das nur im Raumanzug. Und wir werden wie Versuchskaninchen überwacht. Im Ess- und im Arbeitsbereich gibt es Kameras, über die uns ein paar Forscher vom Projekt beobachten. Dazu kommen Fragebögen und Sensoren, die wir am Körper tragen. In den Schlafräumen gibt es aber schon Privatsphäre. Im Alltag hat dann jeder sein eigenes Projekt. Wir simulieren geologische Forschungen, wie sie auf dem Mars stattfinden könnten.

Hoffentlich brennt hier nichts an: die Küche. (Foto: HI-SEAS / NASA)

Was ist Ihr Projekt?

Ich versuche, Wasser aus dem Boden zu gewinnen. Man kann sich das wie diesen Survival-Kniff vorstellen: Man gräbt ein Loch, spannt eine Folie darüber und sammelt das Kondenswasser. Nur dass ich statt des Lochs eine Art Gewächshaus benutze.

Und das testen Sie ein Jahr lang?

Ich probiere verschiedene Designs meines Versuchsaufbaus aus. Auch an verschiedenen Stellen oder über verschieden lange Zeiträume. Wenn es gut läuft, gewinne ich so einen Liter Wasser pro Tag.

Warum muss man überhaupt Wasser aus der Erde gewinnen? Auf dem Mars gibt es doch Eis.

Das schon, aber nur an den Polkappen. Eine Mars-Station würde wohl nicht dort gebaut werden, weil es dort oft dunkel ist. Für die Energiegewinnung würde man in eine sonnigere Region ziehen.

Mit Hin- und Rückflug würde eine Marsmission mindestens zwei bis drei Jahre dauern. Kann man durch eine einjährige Simulation alle Probleme identifizieren?

Einziger Rückzugsort, wenn Streit aufkommt: die Zimmer. (Foto: HI-SEAS / NASA)

Das Experiment ist der dritte Teil einer Serie. Es gab zwei vorherige Simulationen, die dauerten vier und acht Monate. Man will jetzt schauen, ob bei einer längeren Dauer neue Probleme hinzukommen. Man hofft, dass sich nach acht Monaten schon die meisten Probleme zeigen.

Dennoch müssen Sie sich mit ihren Mitbewohnern verstehen. Wonach wurden sie alle ausgesucht?

Erstes Auswahlkriterium war, dass wir astronautenähnlich sind. Also mindestens einen Bachelor-Abschluss in einem technischen oder naturwissenschaftlichen Fach haben. Und dass wir gesundheitlich fit sind. Das waren Grundvoraussetzungen, um überhaupt in die engere Auswahl zu kommen. Dann gab es ein Skype-Interview, psychologische Fragebögen und einen Eignungstest, um die Persönlichkeit der Kandidaten zu testen. Eine Drama-Queen wäre nicht die beste Wahl.

Kennen Sie die anderen Teilnehmer?

Ja. In der letzten Stufe wurden acht Finalisten zu einem Trekking in die Rocky Mountains eingeladen. Im Anschluss haben wir unser Team selbst zusammengestellt. Jeder äußerte anonym seine Meinung, mit welchen fünf er gerne dort wäre und mit welchen zwei lieber nicht.

Würden Sie tatsächlich zum Mars fliegen, sollten die Pläne für so eine Mission einmal konkret werden?

Ich würde mich zumindest bewerben. Solange es ein Rückflugticket gibt.

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