Krankenversicherung:Teurer heißt nicht besser

Lesezeit: 3 min

Gesundheitsversorgung muss nicht immer teurer sein. Pure Interessenpolitik treibt die Kosten in die Höhe - und schadet den Patienten.

Werner Bartens

Die Kassenbeiträge steigen, und die Versicherten nehmen es mit viel Resignation und wenig Empörung hin. Gesundheitspolitiker schieben sich gegenseitig die Schuld zu. Die Diskussion um Kopfpauschale, Bürgerversicherung und Zusatzbeiträge ist so ermüdend wie undurchsichtig.

Nur wenige Mittel wären notwendig, um den Menschen zu mehr Gesundheit zu verhelfen - doch bezahlt wird auch viel Überflüssiges. (Foto: Foto: ddp)

Der Bürger wendet sich enttäuscht ab und zahlt. Ihren Krankenversicherungen bleiben die meisten Menschen länger treu als dem Partner. Dabei geht die neueste Preissteigerung der Gesundheitspolitik in mehrfacher Hinsicht auf Kosten der Versicherten.

Seit Jahrzehnten wird es für ein Naturgesetz gehalten, dass die Medizin immer teurer werden muss. Diese Grundannahme ist falsch. Ständig betonen Gesundheitspolitiker aller Couleur, dass Medizin deshalb immer mehr kostet, weil die Menschen immer älter werden.

Das ist Unsinn. Mehr als 80 Prozent der medizinischen Ausgaben für einen Menschen entstehen im Jahr vor seinem Tod - egal, ob das Ende mit 40, 80 oder 100 Jahren kommt.

Menschen, die früh sterben, sind sogar teurer, denn um einen 50-Jährigen zu retten, wird mehr Aufwand betrieben, als um das Leben eines 95-Jährigen zu verlängern. Die jedes Jahr um drei Monate steigende Lebenserwartung erklärt also keineswegs die Kostenexplosion.

Marketing statt Forschung

Dass der medizinische Fortschritt die Medizin teurer macht, gehört ebenfalls zu den Grundannahmen im Gesundheitswesen. Ist das so? Seit Jahren scheitern die Gesundheitsminister daran, eine Positivliste einzuführen. Darauf wären ungefähr 1500 Medikamente verzeichnet, die nach Expertenmeinung für die Behandlung im Krankenhaus reichen würden.

Ein niedergelassener Internist käme demnach mit 500 Mitteln aus, ein Hausarzt mit 150. Nur diese Arzneimittel sind nötig und sollten erstattet werden. Nicht allein um Kosten zu sparen, sondern vor allem zum Segen der Patienten - denn die Liste enthält nur, was tatsächlich hilfreich und nützlich ist.

Die hiesigen Pharmaunternehmen geben den Großteil ihres Etats für Marketing aus, nicht für Forschung. Viele angebliche Innovationen sind Me-too-Präparate - Nachahmermittel, die nicht besser, sondern nur teurer sind als ihre Vorgänger. Auf den Markt kommen sie dennoch.

Erst nachträglich kann ein Medikamenten-TÜV den Nutzen in Frage stellen. Eine der ersten Handlungen der neuen Regierungskoalition bestand darin, den pharmakritischen Chef des Prüf-Instituts aus dem Amt zu drängen, mit zweifelhafter Begründung.

Doch alle Gesundheitsminister von Seehofer bis Schmidt knickten ein, wenn Pharma-Lobbyisten drohten, dass Tausende Arbeitsplätze verlorengehen könnten, wenn die internationalen Arzneimittelhersteller ihre Produktionsstätten verlagern.

Deshalb gibt es auch mehr als 50.000 Präparate. Nirgends steht, dass die medizinische Versorgung der Bevölkerung den Profitinteressen einer Branche untergeordnet werden muss.

Auf Seite 2: Wo die Kassen noch einsparen könnten - und warum das nicht geschieht.

Man muss auch einen so sperrigen Begriff wie die "Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt" ansprechen, wenn es um die teure Medizin in Deutschland geht. Dieses Prinzip gilt im Krankenhaus und besagt Ungeheuerliches: In der Klinik ist jede medizinische Maßnahme erlaubt, solange ihr Schaden nicht erwiesen ist.

Der Nutzen für Patienten muss nicht belegt sein. Es ist ein offenes Geheimnis, dass viele Kliniken nur weiter existieren können, weil sie in großem Stil fragwürdige Untersuchungen und Therapien anwenden. So wird die bis zu 8000 Euro teure Brachytherapie - eine besondere Form der Bestrahlung bei Prostatakrebs - im Krankenhaus erstattet, in der Arztpraxis nicht.

Krankmachende Medizin

Es gibt keine überzeugenden Belege für den Nutzen. Würden die Kassen nur bezahlen, was Patienten erwiesenermaßen nutzt, wären enorme Einsparungen die Folge - und die Kranken besser versorgt.

Ein Konzept, das auf immer weiteres Wachstum setzt, ist im Gesundheitswesen fehl am Platz. In der Medizin bedeuten mehr Leistungen und Ausgaben nicht automatisch, dass Kranke auch besser versorgt werden. Zu viel Medizin kann sogar krank machen.

In einschlägigen Parametern zur Gesundheit liegt Deutschland nicht auf den vorderen Plätzen, in der Lebenserwartung auch nicht. Deutschland führt aber in einer anderen Statistik: 18-mal im Jahr sucht jeder Deutsche statistisch gesehen einen Arzt auf - so oft wie die Menschen in keinem anderen Industriestaat. Nach den USA und der Schweiz leistet sich Deutschland das drittteuerste Gesundheitswesen der Welt. Den Patienten kommt das leider nicht zugute.

Von den etwa 2000 beim Bundestag registrierten Lobbyverbänden bearbeiten mehr als 400 das Gesundheitsministerium. In der Gesundheitspolitik scheint es gewollt zu sein, dass die Strukturen kompliziert und wenig transparent sind. Nur so kann auch weiterhin jede Interessensgruppe von dem Milliardenmarkt profitieren.

Eine Gesundheitsreform, die diesen Namen verdient, gab es schon lange nicht mehr. Nach medizinischen Kriterien und nach den Bedürfnissen der Kranken wird nicht entschieden. In den Ministerien haben Betriebswirtschaftler das Sagen, in den Kliniken die Kaufleute und Controller. Gute Medizin kommt dabei nicht heraus, sondern nur Interessenpolitik auf Kosten der Patienten.

© SZ vom 05.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: