Mit Hightech ist es bisher nicht gelungen, klimaschädliches Kohlendioxid kostengünstig einzufangen und zu binden. Die Natur beherrscht es aus dem Effeff. Pflanzen angeln das kohlenstoffhaltige Gas aus der Luft und bauen es in Wurzeln, Stängel, Zweige und Blätter ein. Sterben sie ab, macht sich eine Armada aus Mikroben, Springschwänzen, Hornmilben und Regenwürmern über das tote Pflanzenmaterial her und verwandelt es in Humus. Im Idealfall speichert die nährstoffreiche Mischung einen Teil des Kohlenstoffs über mehr als 1000 Jahre.
Warum also nicht diesen biologischen Kohlendioxidsauger nutzen, mehr Pflanzen produzieren, diese als Humus im Boden speichern und so Treibhausgasemissionen kompensieren? Die französische Regierung schlug eben das schon 2015 bei der Weltklimakonferenz in Paris vor. "Da wurde die sogenannte Vier-Promille-Initiative ins Leben gerufen. Sie hat ausgerechnet, dass alle menschgemachten CO ₂-Emissionen ausgeglichen wären, wenn man den Humusaufbau des Bodens um nur vier Promille im Jahr steigert", sagt Wulf Amelung, Wissenschaftler am Forschungszentrum Jülich und an der Universität Bonn. Seitdem sei aber wenig geschehen. Woran das liegt und wie man die Sache voranbringen kann, berichteten Amelung und internationale Fachleute vor einigen Monaten im Fachblatt Nature Communications .
"Ein Fehler war sicherlich, dass die Zahl zu hoch angesetzt war", vermutet Amelung. Ein Viertel, maximal ein Drittel der Kohlendioxidemissionen ließen sich auf diese Weise ausgleichen. Man müsse schließlich auch die laufende Nahrungsmittelproduktion aufrechterhalten und manche Böden seien nicht zugänglich. Zudem fehlten detaillierte Bodenkarten, um Bauern und politischen Entscheidern Prognosen zum Klimanutzen und zu Ertragssteigerungen zu ermöglichen. Und nicht jeder Boden ist gleichermaßen geeignet. Der Humusaufbau bietet sich vor allem dort an, wo in der Vergangenheit viel fruchtbarer Boden verloren gegangen ist, durch Erosion oder weil Wälder abgeholzt wurden. "Und dort, wo durch Kohlenstoffanreicherung auch höhere Ernten erzielt werden können. Denn das wäre ein gutes Argument für Farmer, sich zu kümmern", betont Amelung. Auf manchen Äckern würden nur zehn Prozent der möglichen Erträge erzielt. Etwa ein Drittel aller Böden weltweit seien degradiert. Das betreffe vor allem afrikanische Länder südlich der Sahara sowie Süd- und Westasien.
Im Herbst und Winter liegen 20 Prozent der Ackerfläche brach
"In Deutschland ist der Humusgehalt auf den Feldern nur sehr langsam steigerbar", sagt Axel Don vom Thünen-Institut in Braunschweig. "Allerdings liegen im Herbst und Winter etwa 20 Prozent der Ackerflächen brach. Das können wir uns eigentlich nicht mehr leisten." In diesen Monaten könnten Zwischenfrüchte angebaut und nach der Ernte in den Boden eingearbeitet werden. Sie nähmen zudem überschüssiges Nitrat aus dem Acker auf und lieferten es quasi frei Haus der nachfolgenden Hauptfrucht. Dadurch ließe sich Dünger einsparen und der schädliche Nitrateintrag in Gewässer und Grundwasser mindern.
Besonders viel Humus bilden Pflanzen mit vielen tiefen Wurzeln, zum Beispiel Kleegras und Luzerne. Auch Züchter könnten helfen, sagt Don. "In den letzten Jahrzehnten sind die Wurzeln vieler Pflanzen weg- oder kleingezüchtet worden. Man könnte durchaus drüber nachdenken, diesen Trend wieder umzukehren." Längere Wurzeln seien schließlich nicht nur für die Humusbildung gut, sondern würden auch bei klimawandelbedingten Trockenperioden helfen. Für einen langfristigen Humusaufbau empfiehlt der Forscher vor allem Windschutzhecken. "Hecken speichern nicht nur sehr viel Kohlenstoff. Sie helfen auch beim Biotopschutz und verhindern Erosion", sagt er. Biokohle komme ebenfalls als langfristiger Kohlenstoffspeicher infrage. Allerdings sei sie teuer und habe auf Böden in Deutschland oft nur einen marginalen Zusatznutzen über den Klimaschutz hinaus.
Volkmar Wolters von der Justus-Liebig-Universität Gießen hat einen besonders simplen Tipp zum Humusaufbau. "Weniger ist mehr", sagt er. Landwirte sollten weniger Pestizide und Dünger ausbringen, weniger hacken und verdichten. Das schütze die Mikroben und Tiere im Boden, ohne die sich schlicht kein Humus bilden kann, Regenwürmer zum Beispiel. "In guten humusreichen Böden sind so viele, die haben mehr Biomasse als die Kuh, die oben drauf steht", erzählt der Biologe. Die Tiere schleusen totes Pflanzensubstrat und mineralienhaltige Erde durch ihren Darm und schleimen das Gemenge ein. Dabei verbinden sich kohlenstoffhaltige Substanzen mit Mineralien aus der Erde zu sogenannten Organomineralkomplexen. "Und nur die speichern Kohlenstoff auch langfristig und sie verbessern außerdem die Bodeneigenschaften", betont Wolters. Eine Impfung fragiler Böden mit regionalen Regenwürmern könne die Humusbildung durchaus fördern. Das habe ein eigenes Projekt mit Trockenreisanbau auf den Philippinen gezeigt.
Die Äcker von Ökobetrieben enthalten im Schnitt fünf Prozent mehr Kohlenstoff
Um die Klimaziele von Paris zu erreichen, ist es nicht nur wichtig, Humus aufzubauen. Es gilt auch, Humusverluste aus kohlenstoffreichen Böden zu verhindern. Das heißt, Wälder und Wiesen zu erhalten und vor allem trockengelegte Moore wieder zu vernässen. Denn ohne schützende Wasserdecke zersetzen Sauerstoff und Mikroben die im Moor gespeicherten Kohlenstoffverbindungen zu Kohlendioxid. Die aktuell trockenliegenden Moore sind mit rund fünf Prozent an den globalen durch den Menschen verursachten Treibhausgasemissionen beteiligt, mehr als der Flugverkehr in Vor-Corona-Zeiten.
Grundsätzlich begrüßt Don das steigende Interesse am Humus. Bisher hätten nur ein Viertel aller deutschen Landwirtschaftsbetriebe den Humusgehalt ihrer Felder und Wiesen messen lassen. Man dürfe aber auch nicht naiv sein. "Jetzt zu denken, der Humus wird's schon richten, wäre fatal", betont er. Kühe werden immer klimaschädliches Methan emittieren, und aus gedüngten Böden entweicht Lachgas, das als Treibhausgas viel stärker ist als Kohlendioxid. "Wenn man irgendwann wirklich auf null kommen will, dann könnte Humus helfen, diese unvermeidlichen Restemissionen auszugleichen."
Seit einigen Jahren können Landwirtinnen und Landwirte mit dem Humusaufbau als Klimaschutzmaßnahme sogar Geld verdienen, über sogenannte Humuszertifikate. Unternehmen wie Brauereien, Bäckereien oder Supermarktketten kaufen solche Zertifikate, um eigene Treibhausgasemissionen auszugleichen und Produkte als klimaneutral bewerben zu können. "Das ist aber zurzeit noch Augenwischerei", sagt Don. "Da wird oft nur organischer Dünger, zum Beispiel Kompost oder Gülle, auf die zu zertifizierenden Flächen umgelagert." Das organische Material fehle dann an anderer Stelle. Der Effekt für das globale Klima sei gleich null. Zudem werde nicht eingefordert, dass der aufgebaute Humus auch für immer gehalten wird. Ein weiteres Manko der Zertifikate ist, dass sie jene Betriebe belohnen, die ihre Böden haben verarmen lassen. Landwirte hingegen, die sich immer gut gekümmert haben und deren Böden schon jetzt einen guten Kohlenstoffgehalt haben, profitieren nicht. Die Äcker von Ökobetrieben zum Beispiel enthalten im Schnitt fünf Prozent mehr Kohlenstoff als konventionell bewirtschaftete.
Beim Thema Boden dürfe der Klimaschutz nicht das einzige Kriterium sein, fordert Don. Gefragt seien lebendige und fruchtbare Böden, die die Erträge auch unter den Folgen des Klimawandels stabil halten. "Wenn wir den Boden nur als Kohlenstoffspeicher sehen, dann sind wir auf dem falschen Dampfer", sagt der Forscher.