Insektensterben:Alle weg

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Egal ob nützlich oder schädlich, groß oder klein: Das Insektensterben betrifft alle Arten vom auffälligen Tagfalter bis zur unscheinbaren Minifliege. Das deutet auf Verursacher hin, die großflächig in die Natur eingreifen.

Von Tina Baier

Vor ziemlich genau einem Jahr haben Wissenschaftler das Insektensterben in Deutschland erstmals nachgewiesen. Die viel zitierte Krefelder Studie, erschienen im Oktober 2017 in der Fachzeitschrift Plos one, belegte, dass die Biomasse der Insekten seit dem Jahr 1989 um 76 Prozent zurückgegangen ist. Um dem Insektensterben und seinen Ursachen genauer auf den Grund zu gehen, versuchen Entomologen seitdem, mehr Details herauszufinden. Derzeit untersuchen sie den Inhalt der Insektenfallen, die als Datenbasis der Krefelder Studie dienten, ein weiteres Mal. Sie erkunden, welche Arten darin zu finden beziehungsweise nicht zu finden sind. Auf einer Internationalen Tagung in Bonn werden jetzt erste Ergebnisse präsentiert. Demnach sind vom Insektensterben keineswegs nur manche Arten betroffen, sondern das gesamte Spektrum. Einige der Spezies, die früher schon selten waren, fehlten in den neueren Proben zum Teil ganz, sagt Martin Sorg, Vorstandsmitglied des Entomologischen Vereins Krefeld. Und bei vielen häufigeren Arten sei die Zahl der Individuen, die sich in den Fallen verfangen haben, im Lauf der Jahre deutlich zurückgegangen.

Insgesamt gibt es in Deutschland etwa 33 000 verschiedene Insektenspezies. Die vier artenreichsten Gruppen sind erstens Fliegen und Mücken mit insgesamt etwa 10 000 Spezies. Zweitens Hautflügler, zu denen Wespen und Bienen gehören, mit etwa 9000 Spezies. Drittens Käfer mit etwa 8000 Arten und viertens Schmetterlinge, die sich noch einmal in Tag- und Nachtfalter aufteilen.

Eine Hürde bei der Artenbestimmung ist, dass es keinen Spezialisten gibt, der sämtliche Insekten kennt und auseinanderhalten kann. Die Proben werden deshalb von Wissenschaftlern untersucht, die auf bestimmte Gruppen von Insekten spezialisiert sind. Axel Ssymank, Fachgebietsleiter am Bundesamt für Naturschutz in Bonn, hat beispielsweise die Schwebfliegen in sechs Proben aus dem Wahnbachtal im Bergischen Land genauer analysiert. Erste Ergebnisse bestätigen den drastischen Schwund: 1989 verfingen sich in den sechs Fallen insgesamt 17 300 Individuen, 2014 waren es nur noch 2738. Nachdem Ssymank die einzelnen Arten genauer bestimmt hatte, stellte sich heraus, dass auch die Artenvielfalt gelitten hat. In der Probe aus dem Jahr 1989 identifizierte der Zoologe 140 verschiedene Spezies von Schwebfliegen, 2014 waren es nur noch 103 verschiedene Arten. "Wir können daraus nicht schließen, dass die Spezies, die wir nicht mehr gefunden haben, ausgestorben sind", sagt Ssymank. Es ist aber ein starker Hinweis darauf, dass nicht nur die Gesamtzahl der Insekten zurückgeht, sondern auch die Artenvielfalt leidet. Zumal da die Experten, die Hautflügler, Käfer und Schmetterlinge untersuchen, ganz Ähnliches berichten.

Aufgeräumte, versiegelte Gärten schaden den Tieren fast ebenso wie die intensive Landwirtschaft

Interessant ist, welche Arten besonders stark zurückgegangen sind. "Bei den Schwebfliegen sind das Spezies, deren Larven in Gewässern leben oder an feuchten Stellen auf dem Boden", berichtet Ssymank. Das bekräftigt seiner Ansicht nach den Verdacht, dass wasserlösliche Pestizide und Saatgutbeizen zumindest eine der Hauptursachen für das Insektensterben sind. Einen weiteren Hinweis darauf gibt die Beobachtung, dass der Schwund vieler Insektenarten an Standorten, die beispielsweise durch einen Wald abgeschirmt oder etwas erhöht gelegen sind, nicht ganz so drastisch ausfällt wie anderswo. Als weitere Gründe für den Schwund gelten die Überdüngung der Böden und der Verlust von Lebensraum. Eine nicht zu unterschätzende Rolle neben der intensiven Landwirtschaft spielen dabei private Gärten, die derart aufgeräumt und zum Teil mit Kies und Beton versiegelt sind, dass viele Insekten dort keine Überlebenschance haben.

Speziell bei den Schwebfliegen hat Ssymank herausgefunden, dass Arten, die auf einer begrenzten kleinen Fläche leben, deutlich stärker zurückgegangen sind, als Spezies, die große Distanzen zurücklegen können. "Das lässt vermuten, dass es irgendwo Orte gibt, an denen diese Insekten bessere Lebensbedingungen vorfinden als im Wahnbachtal", sagt Ssymank.

Übereinstimmend berichten alle Experten, die sich mit der artspezifischen Auswertung der Proben befassen, dass die Größe der Tiere keinen Einfluss darauf hat, ob und wie stark sie vom Schwund betroffen sind. Unter den Schwebfliegen reicht das Größenspektrum von einem Zentimeter bis zu vier Millimeter. In anderen Insektengruppen gibt es noch kleinere Arten, die oft mit bloßem Auge kaum zu sehen sind und selbst unter dem Mikroskop nur schwierig zu bestimmen sind. Quer durch alle Expertengruppen ist auch zu hören, dass für den Menschen nützliche Insekten genauso vom Schwund betroffen sind wie Schädlinge. Von den 480 Schwebfliegenarten, die es in Deutschland gibt, sind die meisten für die Bestäubung von Pflanzen ebenso wichtig wie Bienen. Wenn diese Insekten verschwinden, bekommen deshalb auch viele Pflanzen ein Problem - und in der Folge auch der Mensch.

Unzählige Proben müssen noch ausgewertet werden. Das kann noch Jahre dauern

In welchem Ausmaß die Insekten verschwinden, lässt sich nur anhand von Langzeitbeobachtungen herausfinden, da starke Schwankungen von Jahr zu Jahr bei diesen Tieren ganz normal sind und noch keinen Trend belegen. Allerdings gibt es nur wenige solcher Langzeitstudien. Ein bundesweites Insektenmonitoring soll jetzt erst nach und nach aufgebaut werden. Aus diesem Grund ist "die einwandfrei erfasste und sorgfältig gepflegte Probensammlung des Entomologischen Vereins Krefeld von unschätzbarem Wert", sagt Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamts für Naturschutz. Im Archiv des Vereins lagern unzählige Proben. Es ist der Inhalt von Insektenfallen, die ehrenamtliche Mitglieder seit 1989 in regelmäßigen Abständen immer wieder an denselben Standorten aufgestellt haben.

Bis dieser, laut Jessel "bundesweit einzigartige Datenschatz" vollständig ausgewertet ist, werden noch Jahre vergehen. Die ersten Detailanalysen bestätigen aber das erschreckende Fazit von vor einem Jahr: Die Insekten verschwinden.

© SZ vom 08.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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