Es gilt als Rüpel unter den Hormonen. Im Übermaß soll es streitlustig, aggressiv, liebestoll und egoistisch machen. Als Nebenwirkung fallen die Haare auf dem Kopf aus, während sie an Bauch und Rücken weiter wachsen. Doch was macht das schon, wenn dafür die Männlichkeit aus dem Hemdkragen sprießt, die Stimme im Bass ertönt und zusammen mit dem ruppigen Charme unmissverständlich signalisiert: Hier kommt ein echter Mann, ein ganzer Kerl, ein Testosteron-Bolzen eben.
Doch offenbar stimmt das Klischee vom Männlichkeitshormon Testosteron nicht. Wirtschaftsforscher der Universitäten Zürich und London beschreiben im Fachblatt Nature (online) die guten Seiten des Testosterons. Demnach kann das Sexualhormon mit dem schlechten Ruf faires Verhalten fördern - wenn es dazu dient, den eigenen Status zu sichern.
In der Studie erhielten 121 Freiwillige entweder Testosteron oder ein Scheinpräparat. Anschließend sollten sie in einem Spiel Angebote machen, wie ein Geldbetrag verteilt würde. Je fairer die Offerte, desto eher wurde sie angenommen. Einigten sich beide Seiten nicht, bekam keiner etwas. Das Ergebnis verwunderte die Wissenschaftler, denn Teilnehmer mit künstlich erhöhtem Testosteron machten die faireren Angebote. "Nach gängiger Meinung wäre zu erwarten, dass Versuchspersonen mit Testosteron eine aggressive, selbstbezogene und riskante Strategie wählen - ungeachtet möglicher negativer Auswirkungen auf den Verhandlungsprozess", sagt Christoph Eisenegger, Erstautor der Studie.
Aus früheren Studien ist bekannt, dass männliche Tiere weniger streitlustig sind, wenn durch eine Kastration ihr Testosteronspiegel gesenkt wird. Daraus leitete sich das populäre Vorurteil ab, dass Testosteron nicht nur Sprinter schneller, sondern alle Menschen egoistisch und aggressiv machen würde. "Uns interessierte die Frage, was ist Wahrheit, was Mythos?", sagt Eisenegger.
Der Volksglaube scheint erstaunlich zu wirken, denn Probanden, die glaubten, Testosteron zu erhalten, verhielten sich durchweg unfairer - egal ob sie Hormone bekamen oder nicht. "Es scheint, dass nicht das Testosteron selbst zu Aggressivität verleitet, sondern der Mythos rund um das Hormon. In einer Gesellschaft, in der immer mehr Eigenschaften und Verhaltensweisen auf biologische Ursachen zurückgeführt und teils damit legitimiert werden, muss dies hellhörig machen", sagt der britische Ökonom Michael Naef.