Historische Erdbeben:Die Phantom-Katastrophe

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Von einem "schrecklichen Erdbeben" in der Stadt Basel am 12. Mai 1021 berichten mittelalterliche Quellen. Doch diese Katastrophe gab es ebenso wenig wie viele andere historische Erdbeben. Deshalb sind Risikoprognosen oft falsch.

Axel Bojanowski

Das Münster "ward zerrüttet und in den Rhein geworfen worden". Ein "schreckliches Erdbeben" habe die Stadt an jenem Freitag zu Trümmern zerstört - vom 12. Mai 1021 berichten mittelalterliche Quellen über dramatische Szenen aus Basel.

Das Münster in Basel "ward zerrüttet und in den Rhein geworfen worden", heißt es in historischen Quellen zum 12. Mai 1021. Aber die Erde hat dort damals gar nicht gebebt. (Foto: Foto: AP)

Das Beben von 1021 beschäftigt Geoforscher noch heute. Sie streiten, ob das Erdbebenrisiko für die Nordschweiz und für Süddeutschland deswegen hochgestuft werden müsste.

Je öfter Starkbeben eine Region erschüttert haben, desto eher kommt es zur nächsten Katastrophe.

Baunormen müssen entsprechend der Stärke und der Häufigkeit historischer Beben angepasst werden. Doch Wissenschaftlern reichten die Indizien der Historiker für eine Revision der Risikokarte bislang nicht aus - zu Recht, wie sich nun zeigt.

Das Basel-Beben von 1021 hat gar nicht stattgefunden, berichten Seismologen um Gabriela Schwarz-Zanetti vom Schweizer Erdbebendienst SED im Fachblatt Journal of Seismology (Bd. 12, S. 125, 2008).

Die Studie zeigt, dass historische Quellen als Grundlage für Erdbeben-Risiko-Karten mit Vorsicht behandelt werden sollten. Auch andere historische Beben in Basel stehen in Frage. Für die Bewertung des schwersten Basel-Bebens, das 1356 die Stadt verwüstete, stützen sich die Experten nun vor allem auf archäologische Befunde.

Unstrittig ist, dass 1021 ein Erdbeben Süddeutschland und die Ostschweiz erschütterte. So vermerkte ein Benediktiner-Mönch in Sankt Gallen am 12. Mai 1021 in seinem Tagebuch: "Die Welt wird erschüttert", als ob "Monster in der Unterwelt donnern". Geistliche in Hildesheim berichteten für denselben Tag, ein "schweres Erdbeben hat sich ereignet". Basel blieb von den Erdstößen allerdings verschont, wie es scheint.

Wie aber kam die Legende von der 1021 zerstörten Stadt in die Welt? Offenbar regte die Einweihung des Basler Münsters die Phantasie eines Geschichtsschreibers aus dem 16. Jahrhundert an.

Die Kathedrale sei nur deshalb gebaut worden, weil das Beben in Süddeutschland vom 12. Mai 1021 die alte Kirche zerstört habe. Die These des Geschichtsschreibers hat jedoch einen Haken: Das Basler Münster war bereits 1019 eingeweiht worden, das ist verbrieft. Einmal in der Welt, verbreitete sich die Geschichte.

"Ein Historiker hat vom anderen abgeschrieben, ohne den Sachverhalt zu prüfen", sagt Donat Fäh vom SED, Co-Autor der Studie. Schließlich verselbständigte sich die Ente vom Basler Beben. Ein Geschichtsbuch von 1529 erwähnte das Basler Beben erstmals als eigenes Ereignis, ohne einen Zusammenhang mit dem gut dokumentierten Beben von Süddeutschland herzustellen - damit stand es quasi als Tatsache in den Büchern.

Der Schweizer Historiker Johannes Stumpf machte die Legende perfekt, als er 1548 schrieb: "Ein schreckliches Erdbeben ereignete sich am Freitag, den 12. Mai 1021, es zerstörte die Kathedrale von Basel.

Ganze Teile des Münsters fielen in den Rhein. Heinrich II. jedoch ließ sie wieder aufbauen." Im gleichen Buch berichtete Stumpf jedoch, das Münster sei 1019 eingeweiht worden. Der Widerspruch fiel niemandem auf. "Ein typisches Beispiel für unkritische Geschichtsschreibung", sagt Schwarz-Zanetti.

Betrug mit der Burg

Auch die Einschätzung des bislang schlimmsten Basel-Bebens vom 18. Oktober 1356 beruht auf teils fragwürdigen Dokumenten.

Immerhin scheint folgender Ablauf gesichert: Zunächst ließen Erschütterungen die Kirchenglocken des Münsters läuten, bald schwankte die gesamte Kathedrale und stürzte ein. Was folgte, fasste ein Zeitzeuge so zusammen: "Do verfiel Basel über all." Fliehende Bewohner verließen ihre Feuerstellen - die Flammen vernichteten, was das Beben verschont hatte.

Die Einschätzung des Bebens ist von großer Bedeutung, seine Stärke gilt als Bemessungsgrundlage für die Architektur von Atomkraftwerken und Chemiefabriken. Doch war das Beben so stark wie angenommen?

Entscheidende Dokumente sind umstritten. In der so genannten "Burgenliste" etwa wurden 24 Jahre nach der Katastrophe jene Burgen aufgelistet, die das Beben angeblich zerstört hatte. "Die Beschreibungen sind nachweislich übertrieben", sagt Donat Fäh. Manche Besitzer hätten die Schäden überhöht, um finanziell zu profitieren.

Historiche Daten oder archäologische Befunde

Die Seismologen haben deshalb die historischen Daten anhand archäologischer Befunde überprüft. Eine Schwierigkeit bestand darin, zu unterscheiden, ob Schäden an Gemäuern von Menschen herbeigeführt wurden, ob es sich um gewöhnlichen Verfall oder um Erdbebenschäden handelte. Sind Gebäude in einem weiten Umkreis von ähnlichen Schäden betroffen, ist das ein Hinweis auf Beben.

Allmählich verfallende Gebäude weisen hingegen typische Schichtungen der Steinbrösel beidseits der Mauern auf. Und finden sich in Ruinen wertvolle Gegenstände, ist das ein klares Indiz für ein Erdbeben, denn wer lässt freiwillig Schmuck zurück?

Die Zerstörungen an 50 Gebäuden im Raum Basel hätten bestätigt, dass Basel 1356 von einem Beben der Stärke 6,5 getroffen wurde, sagt Fäh. Basel ist demnach auch heute von Beben bedroht

Wie häufig es bebt, bleibt jedoch unklar; viele historische Beben sind schlecht dokumentiert. Ungewiss ist etwa, ob die römische Stadt Augusta Raurica - sie stand wenige Kilometer vom heutigen Basel entfernt - im Jahr 250 von einem Beben zerstört wurde, oder ob sie allmählich verfiel, berichtet Fäh.

Auch über mögliche Beben in den Jahren 867, 902 und 944 gebe es nur wenig Dokumente, schrieb Monika Gisler vom SED kürzlich im Fachblatt Natural Hazards. Gisler fand in Memoiren eines Abtes aber glaubwürdige Hinweise, dass Basel 849 von einem Starkbeben getroffen wurde.

Nach 1356 sollen in der Region Schlag auf Schlag gefolgt sein. In den vier Jahrhunderten nach 1356 erlebte Basel alle 50 bis 100 Jahre ein schweres Erdbeben. Seismologen interpretieren die Schläge als Nachwehen von 1356; die Erdkruste kam lange nicht zur Ruhe.

Erst seit 1736 ist Pause, lediglich schwache Beben lassen Basel regelmäßig erzittern. "Für die Stadt kann das Risiko nicht heruntergestuft werden - trotz der Ente von 1021", sagt Fäh.

Für die Bodensee-Gegend geben die Seismologen hingegen Entwarnung. Ein vermeintliches Beben am 20. Dezember 1720 sorgte bislang dafür, dass die Region als gefährdet eingestuft wurde. Doch das Beben beruhe auf einem Übersetzungsfehler, sagt Donat Fäh. Ein Chronist hatte die französische Beschreibung "Häuser erzitterten" falsch ins Deutsche übertragen. Er schrieb "zerstörte Häuser".

© SZ vom 4.3.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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