Die Menschen haben die Schrift erst relativ spät in ihrer Geschichte erfunden. Deshalb ist es sehr unwahrscheinlich, dass das Gehirn bereits über evolutionäre Prozesse spezielle Module für das Lesen ausgebildet hat.
Umso mehr interessieren sich Neurowissenschaftler für die Frage, was denn im Kopf passiert, wenn ein Mensch das Lesen lernt: Verbessern sich die allgemeinen Hirnleistungen? Oder muss man mit Leistungsverlusten bei anderen Aufgaben rechnen - schließlich sind die Kapazitäten des Gehirns auch begrenzt.
Eine Studie im Fachmagazin Science (online) deutet nun darauf hin, dass an beiden Vermutungen etwas dran sein könnte.
Das internationale Team um Stanislas Dehaene vom Pariser Forschungsinstitut Inserm untersuchte für ihre Studie 63 Erwachsenen, die aus drei verschiedenen Gruppen stammten: Sie waren Analphabeten oder Personen, die entweder als Kinder oder erst als Erwachsene das Lesen gelernt hatten.
Mit funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) wurde dann beobachtet, wie die Gehirne der Probanden auf verschiedene Stimuli reagierten. Dabei ergab sich, eigentlich wenig überraschend, dass alle Lesefähigen horizontal orientierte - also zeilenförmige - visuelle Stimuli besser verarbeiten konnten als die Gruppe der Analphabeten. Außerdem hatte sich bei ihnen eine Gehirnregion entwickelt, die auf die Verarbeitung von Wörtern spezialisiert ist.
Auffallend war hingegen, dass bei allen Lesern eine Region verkleinert war, die sonst für die visuelle Verarbeitung von Gesichtern zuständig ist. Ob dieser neuronale Schrumpfprozess tatsächlich praktische Auswirkungen für das Erkennen anderer Menschen im Alltag habe, müsse jetzt erforscht werden, schreiben die Studienautoren.