Verstrahlte Frachtschiffe aus Japan:Containerweise Probleme

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Der Hamburger Hafen ist das Nadelöhr der Republik. Hier könnten bereits in wenigen Wochen die ersten kontaminierten Container aus Japan anlanden. Doch was tun, wenn ein verstrahlter Frachter die Elbe hinauffährt? Das Beispiel Hamburg zeigt, dass die deutschen Hafenstädte auf eine solche Situation nicht vorbereitet sind.

Kristina Läsker

Als das verstrahlte Containerschiff den Hafen erreichte, fackelten die Chinesen nicht lange. Kurzerhand stellten sie die MOL Presence unter Quarantäne. Keiner durfte den Frachter verlassen, nachdem die Geigerzähler im Hafen der chinesischen Stadt Xiamen ausgeschlagen hatten. Hilflos musste der Schiffsbetreiber, Mitsui OSK Lines, eingestehen, dass das Schiff in etwa 120 Kilometern Entfernung an der havarierten Atomanlage Fukushima vorbeigefahren war. Das hatte offenbar dazu geführt, dass sich radioaktive Partikel an Deck ablagern konnten. Die Chinesen schickten die MOL Presence hinaus aus dem Hafen, zurück nach Japan.

Weltoffen und geschäftig ist der Hamburger Hafen gewöhnlich, doch jetzt macht sich ein neues Gefühl breit in den Containerterminals: die Angst vor verseuchten Gütern. (Foto: dpa)

All das geschah vergangene Woche, seitdem sind die Behörden in Hamburg alarmiert. Der Hafen an der Elbe ist der größte Umschlagplatz in Deutschland für Waren aus aller Welt. Vieles von dem, was in Supermärkten und Fabriken in München, Berlin oder anderswo landet, erreicht zuerst die Terminals der Hansestadt. Sie ist das Nadelöhr der Republik. Hier könnten bereits in wenigen Wochen die ersten kontaminierten Container aus Japan anlanden. Auf diese Weise würde die Reaktorkatastrophe aus Japan direkt nach Norddeutschland gelangen.

Könnte, würde. Keiner weiß das genau. Doch was tun, wenn ein verstrahlter Frachter die Elbe hinauffährt? Kaum jemand würde wollen, dass diese Frachter- wie üblich - mit Seife abgeschrubbt werden und die verseuchte Brühe dann an die Landungsbrücken schwappt. "Möglicherweise werden auch Schiffe zurückgeschickt. Es ist klar, dass verstrahlte Schiffe hier nicht bleiben können", betont ein Sprecher der Hamburger Innenbehörde. Bisher steht nicht einmal fest, von welchem Grad an ein Schiff als verstrahlt gilt: Anders als bei Lebensmitteln gibt es keinen Grenzwert.

Seit dem Reaktorunfall in Tschernobyl kontrolliert der Zoll im Hafen stichprobenartig die Container auf Radioaktivität. Aber niemand ist darauf vorbereite, 300 Meter lange Schiffe als Ganzes mit dem Geigerzähler zu prüfen. Unter Zeitdruck verhandeln Hafen- und Innenbehörde, Zoll und Wasserschutzpolizei über Notfallpläne. Doch niemand möchte das am Mittwoch so nennen. "Wir arbeiten an einem Konzept", bestätigt ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums nur.

Wie gefährdet ist die Hansestadt? Etwa 10.000 Schiffe legen jedes Jahr im Hafen an, nur etwa 300 davon kommen aus Japan. Bevor die Schiffe Hamburg erreichen, sind viele bereits in Europas größtem Hafen Rotterdam vor Anker gegangen. Dort verlangen die Behörden bereits schriftliche Garantien dafür, dass ein aus Asien einlaufendes Schiff nicht verstrahlt ist - eine Lösung, an die sich Hamburg dranhängen will. "Wenn Rotterdam es ablehnt, werden wir es natürlich auch ablehnen", sagt ein Sprecher der Hamburger Hafenbehörde.

Radioaktive Verstrahlung - kein Fall für die Versicherer

Und so wird das Problem schließlich bei den Schiffsbetreibern selbst landen. Seitdem die MOL Presence zurück auf hohe See geschickt wurde, wird in den Reedereien gerechnet: Wie kann es sein, dass der japanische Frachter verstrahlt wurde, obwohl er nicht in Tokio oder Yokohama angelegt hatte? Wie stand der Wind? Wie weit müssen Schiffe nun Japans Nordostküste meiden, wenn sie dem radioaktiven Regen entgehen wollen? Bisher hatte die deutsche Regierung geraten, das Gebiet von Fukushima in einem Umkreis von 100 Kilometern zu umfahren. Das scheint nun nicht mehr auszureichen.

Die zwei größten Linienreedereien Deutschlands weigern sich, die Containerhäfen Tokio und Yokohama anzusteuern. Diese gelten wegen möglicher Strahlenbelastungen als zu gefährlich. Um Besatzung und Ladung zu schützen, läuft Hapag-Lloyd die Häfen bereits seit dem Tsunami nicht mehr an. "Wir wollen kein Sicherheitsrisiko eingehen", sagt eine Konzernsprecherin.

Am Mittwoch schwenkte auch der Rivale Hamburg Süd um: Die Cap Isabel drehte kurzfristig ab; anstelle von Tokio steuert das Containerschiff nun Südkorea an - und das aus gutem Grund: Der Wind hat gedreht. Die Gefahr, in eine radioaktive Wolke zu geraten, wird größer. Auch der Hamburger Reeder Claus-Peter Offen will keinerlei Risiko eingehen. Er befürchtet, dass die Strahlung ganze Schiffe verseuchen könnte, auch auf hoher See. "Über dem Pazifik hängt nicht nur eine radioaktive Wolke, da ist ein diffuses Feld, das man nicht einfach umschiffen kann."

Die Schiffsbetreiber sorgen sich nicht nur um ihre Crews, sie fürchten auch, dass sie für mögliche Schäden aufkommen müssen. Denn seit Tschernobyl haben die Versicherer alle Fälle von radioaktiver Verstrahlung aus den Verträgen herausgenommen. Sie wissen: Es ist fast unmöglich, ein einmal verseuchtes Schiff völlig zu dekontaminieren.

© SZ vom 31.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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